Freitag, 26. August 2011

Azur und Asmar

Wenn mir der Animationsfilm Azur und Asmar, den wir kürzlich auf DVD gesehen haben, in Erinnerung geblieben ist, dann liegt das nicht unbedingt an seiner Geschichte. Die ist einigermassen banal, ein Konglomerat aus Prinz und Bettelknabe, Zauberflöte und Tausendundeiner Nacht: Der hellhäutige Azur und der dunkelhäutige Asmar sind Milchbrüder, erzogen von Asmars Mutter im Schloss von Azurs Vater, bis die Amme und ihr Kind des Landes verwiesen werden. Erwachsen geworden, bricht Azur in die Fremde auf, um die Fee der Dschinns aus den Erzählungen seiner Kindheit zu suchen und zu befreien. Jenseits des Meeres entdeckt er, dass seine Amme inzwischen eine reiche und mächtige Frau ist, und macht sich dann zusammen mit seinem zunächst widerstrebenden Milchbruder auf die anstrengende und gefährliche Suche nach der Fee. Die Überwindung von Vorurteilen, der Lohn der guten Tat und die Brüderlichkeit über alle Grenzen hinweg sind die Themen dieses Films, die gelegentlich etwas arg eindimensional wirken.

Grossartig ist hingegen die künstlerische Umsetzung. Azur und Asmar ist keiner dieser Animationsfilme, die mit unbegrenztem Einsatz von Rechenpower aus der Zweidimensionalität in eine fotorealistische Welt entfliehen wollen. Die Bildsprache ist ausgesprochen grafisch, stark schematisiert und vor allem durch eine überbordende orientalistische Ornamentik geprägt. Die architekturalen Dekorationen, aber dann auch die Kleider, die Accessoires, ja sogar Blumen, Wälder und Löwenmähne sind Kunst gewordene Geometrie. (Vorsicht, die verlinkten Bilder sind riesig! Noch mehr Bilder gibts hier.) Da verbinden sich Farben und Formen zu betörenden, vexierbildähnlichen Tableaus. Das ist schlicht wunderschön und ein kontinuierliches, sehr sehenswertes Fest für die Augen.


Technisches: Azur und Asmar, 2006 erschienen, ist ein Werk von Michel Ocelot, dem Schöpfer von Kirikou. Der Film ist auf DVD verfügbar, ein Trailer findet sich auf Youtube. (Leider sind alle französischen Versionen, die ich gefunden habe, von mittelmässiger Qualität und vermitteln die Magie der Bilder nicht wirklich; deshalb verlinke ich den englischen Trailer.) Die offizielle Website des Films, http://www.azuretasmar-lefilm.com/, scheint nicht mehr in Betrieb zu sein, jedenfalls von hier aus. Zum gleichnamigen Videogame kann ich nichts sagen; optisch scheint es allerdings ebenso überwältigend zu sein wie der Film.

Freitag, 5. August 2011

Beim Zeus, das swingt!

Mit einem letzten Nachtrag schliessen wir den Kreis der Spielstätten und der Sparten: Nach Ballett und Theater geht es heute um die Oper, und zwar um Händels Semele. Das ist, um genau zu sein, An Opera in the manner of an Oratorio; und vielleicht stehen deshalb, als sich der Vorhang hebt, vier Notenpulte und vier Stühle in Reih und Glied auf der Bühne des Berner Stadttheaters. Aber konzertant gesittet wird der Abend ganz und gar nicht, im Gegenteil: Pulte und Stühle fliegen schon bald weg und kippen um, und die explosive Geschichte nimmt unkontrolliert ihren Lauf. Sie ist ja auch vertrackt genug: Semele ist die Tochter des thebanischen Königs Kadmos. Sie ist eine Geliebte des Zeus, soll aber Athamas heiraten, in den wiederum ihre Schwester Ino unsterblich verliebt ist, und muss, falls das mit Zeus ernsthafter wird, die Rache der Hera fürchten. Menschen und Götter – es ist kompliziert. Zunächst freilich erscheint alles sehr einfach: Der Göttervater sprengt mit Blitz, Donner und goldenem Regen in letzter Sekunde die Hochzeit und holt die Geliebte zu sich. Dann nimmt das Verderben seinen Lauf. Einerseits langweilt sich Semele im Olymp schon bald – der Geliebte ist ständig auf Achse, und auch Ino, welche Zeus ihr hastig als Gesellschafterin herbeiholt, kann sie nicht trösten. Anderseits spinnt Hera, zunächst furios erregt, dann immer gefasster, ihren heimtückischen Gegenangriff. Beides fliesst in einer genial-perfiden Idee der Göttermutter zusammen: Sie gibt Semele die Idee ein, von Zeus als Liebesbeweis zu verlangen, er möge sich ihr nicht in menschlicher Verkleidung, sondern in seiner wahren göttlichen Gestalt zu zeigen. Sonnenklar, dass die frustrierte Sterbliche darauf reinfällt, dass Zeus sie vergeblich warnt, und dass sie von der unaushaltbaren Erscheinung geblendet stirbt.

Newburgh Hamilton und William Congreve haben die von Ovid vorgezeichnete Handlung in ein ausgezeichnetes Libretto gegossen – so knapp, als hätten sie jedes Wort einzeln abgewogen; und trotzdem fehlt nichts, geht alles zwangslos ineinander über: keine Spur von Langfädigkeit, wie sie mir bei anderen Barockopern auch schon aufgefallen ist. Händel gibt (in the manner of an Oratorio, wir erinnern uns) dem Chor überraschend viel Platz, und auch das tut dem Stück gut. Es erlaubt dem Regisseur Jakob Peters-Messer, viel Handlung und Leben auf die Bühne zu bringen. Die Ansätze zur Komödie, die in der Vorlage enthalten sind, nimmt er dankbar auf, überzeichnet da und dort einiges (worunter, wie so oft, die eifersüchtige Göttergattin Hera am meisten leidet). Grossartig etwa ist die lange Szene, in der Semele, assistiert von der zunehmend verzweifelten Ino, aus hundert Paar schwarzen Pumps ihren Favoriten küren soll. Das Berner Symphonieorchester (in Barockbesetzung, optisch wunderbar mit Cembali und Theorbe) wurde von George Petrou geleitet und begleitete ein durchwegs überzeugendes Solistenensemble. Eine Erwähnung hätten alle verdient; geblieben ist mir der souveräne Jupiter des Andries Cloete, ein Klischee-Playboy mit Schmalzlocke und offenem Morgenmantel, der mit perlend leichter, grossartiger Stimme seinen Goldregen begleitete.

In die Oper gehe ich, wie der aufmerksame Leser weiss, ausnehmend selten – wohl eine Frage persönlicher Vorlieben und Prioritäten. Was dabei gelegentlich zu verpassen ist, hat mir Semele gezeigt: ein Gesamtkunstwerk, in dem Musik, Bewegung und Handlung nahtlos ineinander und in einen viel-sinnigen Genuss übergehen. Und in dem Witz und Anspielungen nicht zu kurz kommen. Die Geschichte ist mit Semeles tragischem Tod nämlich noch nicht zu Ende: Aus ihrer Asche überlebt ihr ungeborener Sohn mit Jupiter, Bacchus, der Gott der Ekstase. Und so flitzt der Kleine zuletzt über die Bühne, rennt zielstrebig auf die Magnum-Flasche zu und serviert als Schlussbouquet überreichlich Champagner…


Technisches: Semele wird im Herbst am Stadttheater Bern nochmals für vier Vorstellung wiederaufgenommen. Für einmal bin ich also mit meiner Rezension nicht nur zu spät…