Die Katalogreisegruppe verlässt Rom mit der Metrolinie B,
wechselt in Ponte Mammolo in den Bus Richtung Tivoli, fährt durch ärmliche
Banlieue ostwärts, steigt rechtzeitig vor dem Anstieg nach Tivoli aus, irrt ein
wenig durch ein Mittelklass-Wohnviertel und langt endlich glücklich bei der
Villa Adriana an. Während der langen, intensiven Besichtigung kommt ein Diktum
von Moses I. Finley (Die antike Wirtschaft, p. 118) in den Sinn: Auch sehr
reiche Römer konnten „keinem Vergleich mit den Kaisern selbst standhalten, deren
Ansammlung von Grundeigentum … insgesamt eine Grösse erreichte, die unsere
Vorstellungskraft, wären uns die Zahlen bekannt, übersteigen würde.“ Die Villa
Adriana, Herrschaftssitz des Kaisers Hadrian, auf dem Land gegen die Albaner
Berge angelegt, sprengt alle Dimensionen und entzieht sich allen Vergleichen:
imperiale Residenz und World Miniature
gleichermassen, in freier, fast chaotischer Anordnung in die natürlichen Hügel
und Senkungen eingepasst, die gesamte römische Architektur zitierend und
gleichzeitig nach Belieben innovativ, Arbeits- und Wohnort Hunderter von
Menschen.
Wer an einem heissen Herbsttag stundenlang durch die
hektarweise sich ausdehnenden Ruinen wandert, mit Hilfe des abgegebenen Plans
sich einen Reim auf die Architektur zu machen sucht, vor der Fülle von
Material, Details und Information jedoch zwangsläufig kapitulieren muss, besucht
beim Ausgang gerne den Shop: Das Gefühl, der grossartigen Stätte nicht gerecht
geworden zu sein, verleitet wie von selbst zum Kauf des Ablasses, sprich des
Katalogs, mit dem Ziel, die detaillierte Beschreibung der Villa mindestens durch
Besitz sich zu eigen zu machen. Eher unwahrscheinlich ist der Idealfall,
dieselbe sogar nachzulesen, und ohne meinen Katalogreisenvorsatz hätte auch ich
es wohl bleiben lassen. Das wäre schade gewesen: Das schmale, handliche Buch vermittelt
effizient ein gutes Verständnis der antiken Stätte. Es liefert die notwendigen
biografischen Hintergründe zum Bau- und Hausherrn, skizziert die grossen Linien
des architektonischen Projekts, seine Geschichte und Umsetzung, und beschreibt
dann knapp, aber mit dem gebotenen Detail alle Gebäude, Höfe und Plätze und
versucht eine Interpretation ihrer Funktion. Die Lektüre dauert wenig länger
als eine ausführliche Besichtigung der Villa Adriana und ruft dem
Katalogreisenden die schon verblassten Eindrücke seines Besuches wieder
schlüssig ins Gedächtnis. Kritisch zu bewerten ist einzig (gerade im Vergleich mit
den grossartigen Katalogen der Centrale Montemartini und der Kapitolinischen Museen) das Bildmaterial. Gewisse
Illustrationen sind von mittelmässiger Qualität, gewisse Gebäude sind gar nicht
oder nur mit wenig repräsentativen Aufnahmen bebildert. Am schwersten ins
Gewicht fallen die unzulänglichen Pläne: Der Katalog enthält mehrere Karten,
Gesamtansichten und Rekonstruktionen, aber wirklich hilfreich ist nichts von
alledem – ganz besonders nicht das Foto des Modells auf Seite 26, das
seitenverkehrt abgedruckt wurde... Der an sich gute Gesamtplan hätte unbedingt
mit vergrösserten Details ergänzt werden sollen, um eine komfortable Periegese
zu ermöglichen. So wird die Orientierung etwas zum Sport. Wer kombinieren und Karten
lesen kann, erfährt dafür die Befriedigung, sich sein Gesamtbild aus den bescheidenen
Grundlagen selber erarbeiten zu können.
Technisches: Benedetta
Adembri, Villa Adriana. Milano, Mondadori 22008. ISBN 978 88 435 7718 7. Der
Katalog ist ausser in Italienisch auch in Deutsch, Französisch, Englisch und
Spanisch erhältlich.
Sonntag, 4. August 2013
Villa Adriana (Katalogreisen, Nr. 3)
Eingestellt von
Phemios
0
Kommentare
Labels: Archäologie, Architektur, Kultur, Literatur
Abonnieren
Posts (Atom)