Freitag, 12. März 2010

Giulias Verschwinden

Martin Suter habe ich – wie wohl viele andere auch – als Kolumnenschreiber kennengelernt: als Schöpfer von lifestyle victim Geri Weibel und als scharfzüngigen Beobachter der Welt in der Business Class. Kaum jemand versteht es so magistral, in lakonischer Kürze, fast beiläufig, einen Charakter so trefflich zu präsentieren. Suter kann aber noch viel mehr. Es gibt kaum eine Textsorte, in der sich der Mann nicht bewiesen hätte: Mit Werbetexten hat er begonnen; Reportagen, Bühnenwerke, preisgekrönte Romane und Songtexte (für Stephan Eicher) kamen dazu – und gelegentlich auch Drehbücher. Um ein solches geht es hier, um dasjenige zu Giulias Verschwinden; und die Einleitung lässt mich jetzt wunderbar den Bogen schlagen zur Bemerkung, dass dieser Film eine visuell umgesetzte Kolumnensammlung ist. Er hat keine Geschichte, er hat ein Thema: das Alter, das Altern und den Umgang damit. Drei Geburtstage, schön gerecht verteilt über ein Menschenalter, sind gewissermassen die Kristallisationskerne, um die herum sich im Lauf eines Abends die einzelnen Episoden mit ihren präzise skizzierten ProtagonistInnen anlegen. Die Dialoge sind geschliffen, jedes Wort sitzt, wie scharfe Klingen zischen die Sätze durchs Restaurant, durchs Altersheim, durch die Bar, und nur weil alle Figuren diese Klingen gleichermassen virtuos führen, hält sich die Opferzahl in Grenzen. Die angestrengt-ironischen oder geradeheraus sarkastischen Kommentare zum Alter (zum eigenen und zu dem der anderen) liessen mich mehr als einmal leer schlucken oder ertappt schmunzeln. Freilich droht auf allen Seiten die Klischeefalle und kann auch nicht vollständig vermieden werden, beispielsweise im überaus bösartigen Nahkampf in der Altersresidenz. Anderthalb Stunden lang ausschliesslich mit Bonmots die Spannung hochzuhalten, ist eben auch für einen Martin Suter eine Herausforderung.

Giulias Verschwinden ist ein Mosaik aus Pointen, von einem hervorragenden Ensemble virtuos gesetzt. Trotz gewisser Längen funktioniert der Film. Ich glaube, das liegt daran, weil er das Älterwerden, eines der grössten Themen der Menschen, so präsentiert, wie auch wir es häufig genug angehen: Mit einer verzweifelten Ironie, die zuallererst uns selber vor der fortschreitenden Panik bewahren soll.


Technisches: Giulias Verschwinden läuft noch in einigen Kinos, vor allem in der lateinischen Schweiz.

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