Donnerstag, 7. Oktober 2010

Tamara Drewe

Welch ideales Setting für eine Komödie: ein Writers’ Retreat, ein Literatengästehaus im sehr ländlichen Dorset inklusive Garten und Kleintieren, wo sich völlig ungezwungen ein ganzes Panoptikum der absonderlichen Gestalten die Ehre gibt. Ein buntes Grüppchen mehr oder minder erfolgreicher Autorinnen und Autoren zieht sich zu einer kreativen Auszeit aufs Land zurück, darunter der ewig grübelnde und unentschlossene Literaturprofessor Glen, der sein Hauptwerk über Thomas Hardy einfach nicht auf die Reihe bringt. Um all diesen im Scheitern begriffenen Existenzen kümmert sich mit scones und Kuchen liebevoll und fürsorglich die verhärmte Beth Hardiment, währenddem ihr Ehemann Nicholas als spiritus rector diesen kreativen Zufallshaufen mit grosser Geste zusammenhält. Er tut dies als erfolgreicher Autor minderwertiger Krimis, überzeugt jedoch weit mehr noch als begnadeter Herzensbrecher sowie besonders als Schauspieler, wenn er alle halblang seiner Gattin herzlich empfundene Reue vorspielen muss, weil sie ihn wieder einmal wegen einer Affäre mit einer Jungautorin aus dem Haus schmeissen will. Als zusätzliches und namensgebendes Ingredient taucht in dieser fragilen Idylle dann das ehemalige hässliche Entlein des Dorfes auf, das sich inzwischen die Nase richten liess, beruflichen Erfolg errungen hat und auch sonst eine blendende Figur macht: Gemma „Strawberry Fields“ Arterton als Tamara Drewe. Wie sie nun scheinbar unschuldig und mit endlosen Beinen ins Dorf ihrer Jugend zurückkehrt, sorgt sie für den allgemeinen Hormonschub, der um sie herum einen zünftigen Wirbelsturm auslöst. Weitere Protagonisten darin sind ihr Schulschatz, ihre neue Affäre (ein direkt dem Versandkatalog für bewusstseinserweiternde Substanzen entsprungener Rockmusiker) sowie zwei Girlies, deren Begeisterung für ebendiesen glutäugigen Drummer die Intrigen weiter verkompliziert und gleichzeitig vorwärts bringt. Da wird hemmungslos geflunkert und getäuscht, da fliegen Pfannen und Blumentöpfe, da hüpft man in verschiedenen Konstellationen und mit ganz unterschiedlichen Motiven miteinander ins Bett.

Die Vorlage für Tamara Drewe, den neusten Film von Altmeister Stephen Frears, ist die graphic novel (mehr novel als graphic, um genau zu sein) gleichen Namens von Posy Simmonds. Drehbuchautorin Moira Buffini hat der sarkastisch-tiefsinnigen Geschichte einen Dreh ins Absurd-Komische gegeben, hat zusätzlich Tempo, Witz und eine gewisse Leichtigkeit hineingebracht sowie die literarischen Anspielungen an Thomas Hardys Far from the Madding Crowd multipliziert (auf die ich wegen mangelhafter Kenntnisse der englischen Literatur hier nicht näher eingehe). Auch ist das Ende weniger blutig, aber – schliesslich ist dies eine britische Komödie – noch immer makaber genug. Irgendwann schnallt dann auch Tamara Drewe, was sie in ihrer Naivität ringsum so alles angerichtet hat. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, muss sie sich freilich ausgerechnet und relativ lange mit dem Hauptmiesling des Films einlassen. Ist es Rache? Ist es Arglosigkeit? Die Kollateralschäden sind gross, doch am Schluss kriegt jeder, was ihm zusteht – oder, genauer, wird sich seiner eigentlichen Wünsche und Träume (wieder) bewusst und hört auf, die falschen Ziele zu verfolgen. Sogar die gestressten Kühe beruhigen sich wieder, und so wird alles gut.


Technisches: Tamara Drewe ist ab heute in den Deutschschweizer Kinos zu sehen. Die Buchvorlage erschien auf Englisch bei Jonathan Cape (ISBN 978-0-2240-7817-7), auf Deutsch bei Reprodukt (ISBN 978-3-941099-31-9).

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