Ich hätte gewarnt sein sollen: Das Geheimnis der Signora ist bei Bastei-Lübbe erschienen und auf schnell bräunendes Billigpapier gedruckt. Zudem ist nirgends angegeben, wer für die deutsche Übersetzung verantwortlich ist; also wars wohl entweder eine Agentur oder aber ein bedauernswerter Einzelkämpfer, der nicht mit seinem Namen zum schlecht bezahlten Resultat stehen wollte. Tatsächlich holpert und stolpert der Text von Anfang an. Aber dafür, dass die Geschichte nicht funktioniert, kann der Übersetzer nichts – das ist allein die Schuld des Autors Marco Vichi. Sein Krimi spielt im Sommer 1963 im glühend heissen Florenz, als in einer feudalen Villa eine alte Dame tot aufgefunden wird. Commissario Casini, der mit dem Fall betraut wird, erkennt schnell, dass es sich nicht um einen natürlichen Tod handeln kann, und da die Hauptverdächtigen ebenso flott identifiziert sind, könnte es sich hier eigentlich um einen jenen Krimis handeln, in denen die Suche nach dem Täter und dessen Überführung in den Hintergrund rücken zugunsten eines allgemeineren Sittengemäldes. Autoren wie beispielsweise Petros Markaris schätze ich genau für solche Bücher. Doch wenn bei Vichi der Plot mal in den Hintergrund gerückt ist, bleibt nicht mehr viel. Einige bescheidene Ansätze zu einer Meditation über die Relativität von Gut und Böse, von Schuld und Unschuld, wirken plakativ und oberflächlich. Sämtliche Figuren sind wandelnde Klischees, wie etwa der neue Mitarbeiter von Casini, direkt aus Sardinien angekommen, jung, motiviert, blitzschnell und schlau – aber sobald er eine schöne Frau sieht, geht sein südliches Temperament mit ihm durch. (Zudem ist er, o glückliche Fügung, der Sohn von Casinis Kriegskameraden, was jenem Anlass zu allerlei schwermütigen Flashbacks gibt.) Des Kommissars Bruder macht eine jähe und grotesk überzeichnete Wandlung vom mürrisch-strengen Chemielehrer zum langbärtigen liebestrunkenen Hippie durch. Die mutmasslichen Bösewichte sind aufgedunsen, triefen vor Schweiss und tragen bunte Krawatten und zu enge Hemden. Vollends nur noch peinlich wird die Geschichte, als Casini einer langbeinigen Kellnerin hinterherlechzt und sich danach schwülstig an das Kindermädchen erinnert, das den Pubertierenden seinerzeit sexuell initiiert hatte. Da fühlt der Leser die Hitze geradezu physisch, die im Übrigen nicht nur vom Anfang bis zum Ende die einzig vorkommende Wetterlage ist, sondern auch auf gefühlt jeder zweiten Seite ausführlich thematisiert wird. Auch die Gelegenheit, Das Geheimnis der Signora als Lokalkrimi zu gestalten und Orte und Anekdoten aus Florenz einzuweben, versiebt Vichi rettungslos. Wir sehen einmal kurz den Ponte Vecchio und einmal San Miniato al Monte, ansonsten könnte die Geschichte auch in Hintertupfigen spielen. Und bei allem Verständnis für den Verzicht auf einen klassischen Whodunit: Mindestens eine halbe falsche Fährte hätte der Autor legen können, zumal er sich das Personal dafür (etwa die Gesellschafterin oder den Arzt der Signora) pfannenfertig geschaffen hat.
So könnte man das Buch als Strand- oder Zuglektüre ohne grossen Anspruch bezeichnen, wenn es für diese Anlässe nicht so viele packendere und gleichwohl intelligentere Romane gäbe. Auf dem Umschlag jubiliert Italia Oggi: „Ein neuer italienischer Commissario ist geboren.“ Diese Feststellung ist nicht falsch; aber wenn er nicht geboren wäre, hätte ich zumindest ihn nicht vermisst.
Technisches: Marco Vichi, Das Geheimnis der Signora. Commissario Casinis erster Fall. Bastei Lübbe Taschenbuch 15155. Bergisch Gladbach, Verlagsgruppe Lübbe 2004. ISBN 3 404 15155 0. Das italienische Original ist unter dem Titel Il Commissario Bordelli (sic!) 2002 bei Ugo Guanda Editore erschienen.