Medienorientierung nach einer Geber-Konferenz in der Demokratischen Republik Kongo: Die internationale Gemeinschaft hat 1,8 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern gesprochen. Der in Kinshasa wohnhafte holländische Künstler Renzo Martens will vom Weltbank-Vertreter wissen, welchen Prozentsatz der Wirtschaftsleistung des Landes diese Summe repräsentiert. Es ist mehr, als die jährlichen Ausfuhrerlöse für Palmöl, Kaffee, Kakao und das Metall Coltan zusammen.
Das ist eine Schlüsselszene in Martens’ Dokumentarfilm Episode III: Enjoy Poverty. Aus ihr heraus entwickelt er die These, dass des Kongos lukrativstes Exportgut weder Bodenschätze noch Landwirtschaftsprodukte sind, sondern Armut und Elend. Die arme Landbevölkerung, so der Künstler weiter, täte folglich gut daran, diese Ressource auszuschöpfen – zumal gegenwärtig vor allem das Ausland davon profitiert: Entwicklungshilfegelder, so erfahren wir, fliessen zum grössten Teil in das Land zurück, aus dem sie stammen; und mit den Bildern von Kriegstoten und unterernährten Kindern machen europäische Reporter Kasse, nicht die Akteure, die Kongolesen selber. Also gabelt Martens in einem Dorf drei junge Männer auf, die einen Fotoladen betreiben und mit Fest- und Hochzeitsfotos ein paar Cent dazuverdienen. Er rechnet ihnen vor, wie viel ihre ausländischen Kollegen für ein einziges Leidensfoto bekommen, und überzeugt sie, sich in der Krankenstation umzusehen. Nach ersten Versuchen klopfen sie im Spital von Médecins sans frontières an, wo sie ein süffisant-herrischer Arzt ohne viel Federlesens rausschmeisst: Er müsse seine Kranken beschützen – was nicht auszuschliessen scheint, dass ihre Fotos in der Medienarbeit von MSF verwendet werden. Am Ende des Films wird Martens’ Presseausweis widerrufen.
Diese zentrale Episode ist eingebettet in lange Szenen, in denen der Künstler schwitzend durchs Land stapft und in seine Handkamera spricht, in denen er mit den Leuten in den Dörfern und auf den Palmölplantagen ins Gespräch kommt, in denen aber auch mit quälender Indiskretion sterbende Kinder und Soldatenleichen gezeigt werden. Teilweise war der Film kaum auszuhalten. Gleichzeitig gelang es ihm, Mechanismen von verfehlter Hilfe, den festgefahrenen westlichen Blick auf Afrika, das Geschäft mit dem Elend schonungslos offenzulegen. Mit wenigen „dummen“ Fragen, mit absurden künstlerischen Interventionen, aber auch mit brutaler Offenheit gegenüber seinen Gesprächspartnern zeigte Martens überdeutlich die Ungerechtigkeit und Hoffnungslosigkeit der Situation im Kongo auf, aber auch, wie einzelne davon zu profitieren verstehen und wie sie dies ihrem Gewissen gegenüber schönzureden versuchen. Ein enthüllender, lehr- und erkenntnisreicher Film also. Aber um diese Deutlichkeit zu erreichen, verhielt sich Martens wie ein Kotzbrocken. Unangenehm berührend war schon sein unbewegtes Draufhalten auf sterbende Kinder und ihre Angehörigen; in höchstem Masse zynisch sein Abschied von einem Plantagenarbeiter, dem er ein gutes Essen für seine Familie spendierte und gleichzeitig regungslos ins Gesicht sagte, dass er auch in zehn Jahren noch auf dem Boden schlafen und hungern würde. Richtig aufgeregt hat uns aber die Geschichte mit den jungen Fotografen: Martens weiss genau, dass die neu gefundenen Kollegen nicht die geringste Chance haben, mit ihren Elendsbildern Geld zu machen. Er weckt in ihnen also falsche Hoffnungen, um sie für seine Argumentation, für sein eigenes künstlerisches Werk und damit seinen eigenen Profit benützen zu können.
So standen wir nach der Vorführung am diesjährigen Belluard-Festival ratlos und ziemlich verärgert vor der Frage, was das sollte. Oder vielmehr vor dem alten ethischen Dilemma, ob es erlaubt sei, den einen zu schaden, um dafür vielen anderen zu helfen – konkret: ob die pointiert umgesetzte Aussage des Films und seine eventuelle Breitenwirkung die Verarschung [Entschuldigung] seiner Akteure rechtfertigt. Mit Blick auf das überschaubare (und gewiss ohnehin schon sensibilisierte) Publikum, aber besonders auf Martens’ Selbstverliebtheit neige ich dazu, diese Frage im vorliegenden Fall zu verneinen. Der Regisseur hätte nicht so brutal zu überzeichnen gebraucht, um seine Botschaft deutlich zu machen. Es bleibt das schale Gefühl, dass er sich auf Kosten von Menschen, denen es ohnehin schon dreckig geht, mit grossem Gestus in Szene gesetzt hat. Dass er das ganze Dilemma der weltweiten Ungerechtigkeit, ihrer Profiteure und Opfer sowie der Entwicklungshilfe in selten gesehener Deutlichkeit auf den Punkt gebracht hat, kann ich ihm allerdings nicht absprechen.
Technisches: Wann und wo der Film in absehbarer Zeit erneut zu sehen ist, weiss ich nicht – vielleicht hilft Renzo Martens’ Facebook-Profil weiter. Konziser und schärfer als ich kritisiert Dan Fox den Film im Frieze Magazine.
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