Spartacus ist heutzutage einer der bekanntesten antiken Namen – dank Hollywood, verschiedenen revolutionären Vereinigungen und zuletzt einem Radprofi. Dass diese Bekanntheit nicht unverdient ist, zeigt Catherine Salles’ Monografie 73 av. J.-C., Spartacus et la révolte des gladiateurs, ein kluges, präzises Buch, das völlig frei ist von der sonst so künstlich schwerfälligen französischen Gelehrtensprache. Salles zeichnet an Hand der wenigen, entfernten Quellen das Leben und Wirken des berühmtesten antiken Sklavenrevolutionärs nach. Geboren um 100 v. Chr. in Thrakien, von den Römern zum Kriegsdienst verpflichtet, desertiert, gefangen genommen und in Rom als Sklave verkauft, gelangte er in die Gladiatorenschule des Lentulus Battiatus im kampanischen Capua. Dort gelang es ihm, angeblich unter Mithilfe seiner Gefährtin, einer in Mysterienkulten bewanderten Priesterin, seine Schicksalsgenossen zum Widerstand zu vereinen und aus der Schule auszubrechen. Schnell wuchs das kleine Grüppchen von 70 Gladiatoren durch den Zufluss von Sklaven und armen Landarbeitern auf eine Freibeuterschar von zehntausend Männern an, die, von den durchtrainierten Berufskämpfern angeführt und eingewiesen, die Vesuvgegend mit Raubzügen heimsuchten. Auf Widerstand trafen sie zunächst kaum: Die Ordnungskräfte wollten sich nicht richtig in einem unwürdigen Kampf gegen den (in ihren Augen) Abschaum der Gesellschaft engagieren, und die unzureichenden Polizeieinheiten, die ihr entgegengeschickt wurden, vermochte die bereits zu grosse Sklavenschar problemlos zu dominieren. Sie wuchs im Gegenteil zu einer regelrechten Armee von siebzigtausend Soldaten an, gut bewaffnet, richtig organisiert und straff geführt. Unklar ist ihr eigentliches Ziel: Wollten die Sklaven zurück in ihre Heimat? Wollten sie sich in einem eigenen Staat dauerhaft einrichten? Wollten sie ihre Bewegung in anderen Regionen Italiens noch weiter stärken? Jedenfalls zog ein Teil des Heeres gegen Süden, der grössere Teil mit Spartacus an der Spitze nach Norden, schlug mehrmals die römischen Legionen, die sich ihm entgegenstellten, wandte sich jedoch nicht gegen Rom, sondern kehrte nach Süditalien zurück, wo sich Spartacus vergeblich in Thurium, am Golf von Tarent, einzurichten versuchte. Nach über einem Jahr, in dem er die römischen Truppen praktisch nach Belieben vorgeführt hatte, erwuchs ihm in der Person des schwerreichen, ehrgeizigen und skrupellosen Crassus endlich ein übermächtiger Gegner. Auch er wurde zwar noch mehrmals ausgespielt, setzte jedoch schliesslich dem Aufstand (und seinem Anführer) ein blutiges Ende.
Im Lauf seiner zweijährigen Revolte erwies sich Spartacus ganz offensichtlich als charismatische Persönlichkeit, fähiger Heerführer und geschickter Taktiker. Was ihn darüber hinaus so interessant macht, sind die Parallelen zwischen seiner und den verschiedenen anderen Sklavenrevolten im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. Wesentliche Elemente begegnen dabei immer wieder: Die wichtige Rolle eines mitreissenden, oft mit den Göttern in besonderer Verbindung stehenden Anführers, die Verbündung der Rebellen mit anderen Benachteiligten ihrer Zeit wie beispielsweise der armen Landbevölkerung sowie die anfängliche Unterschätzung durch die Obrigkeit, die sich nicht so richtig durchzuringen vermag, gegen die angeblichen Untermenschen ernsthaft, das heisst mit genügend schlagkräftigen Truppen, vorzugehen. So erreichten einzelne Revolten von Sklaven eine erstaunliche Dauer und Beständigkeit; in Sizilien errichtete der Syrer Eunous in den Jahren 139 bis 132 v. Chr. sogar ein eigentliches Königreich, in welchem die Sklaven jahrelang unbehelligt lebten. Verbindende Konstante war aber auch jedes Mal die Ausweglosigkeit des Aufstandes, der – sobald Rom sich einmal ernsthaft zu dessen Bekämpfung entschlossen hatte – brutal und umfassend niedergeschlagen wurde. Von besonderer, beispielhafter Grausamkeit ist die Triumph- und Strafmassnahme des Crassus, der 6000 der Gefährten des Spartacus entlang der 195 Kilometer der Via Appia von Capua bis Rom ans Kreuz schlagen liess.
Catherine Salles begreift und beschreibt diese Serie von Aufständen als charakteristische Konsequenz des Sklavenwesens gegen Ende der römischen Republik. Oder genauer: als Konsequenz des sich zuspitzenden Verhältnisses von Herren und Sklaven. In den letzten beiden vorchristlichen Jahrhunderten vergrösserte sich die Zahl derer massiv, die als Kriegsgefangene oder als Piratenbeute in die Sklaverei geraten waren. Das Überangebot an Sklaven verleitete dazu, diese in grossem Umfang und fast ohne Rücksicht auf Verluste einzusetzen. Und diese harten Lebensbedingungen mussten besonders denen unerträglich erscheinen, die frei geboren und erst durch Gefangenschaft zu Sklaven geworden waren. Die Häufigkeit und die Intensität der Sklavenrevolten liessen dann nach, als die beiden Quellen der Eroberungskriege und der Piraterie versiegten, als der Anteil der bereits in Gefangenschaft geborenen Sklaven wieder stieg und als gleichzeitig die Brutalität der Herren gegenüber ihrem „sprechenden Besitz“ zurückging.
Schliesslich kann der Aufstand des Spartacus auch gleichsam als Scheinwerfer auf die Krisensituation der ausgehenden Republik gelesen werden. Das Thema verdiente eine umfassendere Beschäftigung (und die entsprechende Literatur liegt hier auch schon bereit). Salles liefert jedoch bereits eine präzise, einleuchtende Analyse eines von seinen eigenen Erfolgen überrumpelten Stadtstaates, der innert wenigen Generationen zum Weltreich geworden ist, aber immer noch von den gleichen Institutionen geführt, von den gleichen wenigen Adelsfamilien regiert wird. Vielfach erschreckend unfähig, im Glanz ihrer Familiengeschichte erstarrt, von den durch Handel reich gewordenen, aber politisch wenig einflussreichen Rittern bedrängt, rieb sich diese Aristokratie in Fraktionskämpfen und Bürgerkriegen auf. Ihr Niedergang war der Niedergang der römischen Republik, und es erscheint nur folgerichtig, dass im ganzen ersten vorchristlichen Jahrhundert einige „starke Männer“ die Geschicke Roms dominierten – eine Entwicklung, die schliesslich in den Augusteischen Prinzipat, das Kaisertum, mündete. Die eigentlichen Opfer dieses durchgeschüttelten Jahrhunderts, die brutalisierten Sklaven und die verarmten Kleinbauern, bleiben grossmehrheitlich namenlos. Die Sklavenrevolte des Spartacus rückt sie kurz, aber jäh, ins helle Bühnenlicht der Geschichte.
Technisches: Catherine Salles, 73 av. J.-C., Spartacus et la révolte des gladiateurs. Bruxelles, Editions Complexe 1990/2005. ISBN 2-8048-0053-9. (Ich hätte hier gerne einen Link zum Buch gesetzt, aber die Website der Editions Complexe ist dermassen schräg, dass ich es unterlassen muss. Oder hat schon mal jemand inmitten einer Katalogsuchmaske einen Link auf „cheap dell laptop batteries online“ gesehen? Tja, der Niedergang des gedruckten Buches scheint unaufhaltsam…)
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