Ballettabende, an denen mehrere Choreografien unter einem gemeinsamen Motto gezeigt werden, gehören für mich als Chronisten zu den grössten Herausforderungen. Solchen Abenden wohnen nämlich regelmässig zwei Probleme inne, wie kürzlich wieder die Dernière des Programms Auf ein Wort in den Vidmarhallen des Stadttheaters Bern gezeigt hat. Zum einen wirkte da die thematische Klammer etwas künstlich. Ich will damit nicht sagen, es sei nicht ersichtlich gewesen, dass und wie die Choreografinnen und Choreografen die Vorgabe von Cathy Marston umgesetzt haben, ein Stück unter dem Thema „Bewegung und Text“ zu entwickeln. Nur war diese Vorgabe zu beliebig, zu wenig verbindend. Ich behaupte gar: Hätte Marston wahllos vier unabhängige Tanzstücke zusammengestellt, einen gemeinsamen Aspekt ausgesucht und diesen zum Titel gemacht, das Resultat hätte sehr ähnlich aussehen können. Was ich sagen will: Diese thematische Klammer ist zu schwach, als dass sie für die Interpretation mehr als anekdotischen Wert hat. Dadurch fällt es mir schwerer, den Abend als Einheit zu besprechen, und ich werde eine Berichterstattung über vier Einzelstücke schreiben. Und damit sehe ich mich dem zweiten Problem gegenüber: Wenn ich in rascher Folge vier relativ unterschiedliche Choreografien von rund zwanzig Minuten Dauer gesehen habe, vier kunstvolle Kombinationen also von Bewegung, Kostümen, Musik, Licht und Text, dann bin ich schon zwei Tage darauf ausser Stande, mich an mehr als an einzelne Details zu erinnern. Wir haben uns auf dem Heimweg den Abend nochmals durch den Kopf gehen lassen und diskutiert, was wir gesehen haben – vergebens: Die Grundstimmungen, Details zur Musik und zur Inszenierung, mögliche Interpretationen sind bis auf Fragmente alle weg. (Einzig das Mitschreiben hätte Abhilfe schaffen können, aber so stark will ich dieses Hobby hier nicht zu Arbeit verkommen lassen...)
Das spricht nun wiederum für die gleichmässige Qualität der vier Stücke; oder, boshafter gesagt, für das Fehlen eines Überfliegers, der Geist und Seele bleibend gepackt hätte. Ich will freilich nicht in Zynismus versinken. Denn bei aller hier geäusserter Kritik: Wir sahen viel Spannendes, Witziges und Durchdachtes. Eindrücklich etwa, wie die vier Tänzerinnen und Tänzer in Corinne Rochets Des fois, je… Comment dire…, das Ungelenke einer unsicheren Kontaktaufnahme zeigten, wie ihr ganzer Körper zu Hemmung und Verlegenheit wurde, bis sie dann in der reinen Bewegung zum vollkommenen Ausdruck ihrer selbst gelangten. Wunderschön auch, wie in Medhi Walerskis Words failed me nach einem hektischen, neonbeleuchteten, von nervtötenden Satzfragmentwiederholungen begleiteten Beginn innige Pas-de-deux und eine intensive Schwarmszene folgten. Cathy Marstons And our faces vanish like water wiederum war geprägt durch die Sopranistin Mélanie Adami und die Beatboxerin Steff la Cheffe, deren Zusammen- bzw. Gegeneinanderspiel mich dermassen faszinierte, dass ich vom Tanz leider so gut wie gar nichts mitbekam. Den Schlusspunkt setzte ein burleskes Spektakel von Mark Bruce, eine wilde Show in einem skurrilen Revuetheater des beginnenden 20. Jahrhunderts, wo Frack und Zylinder, die Pom-poms von Cheerleaders und die Pfauenfedern aus dem Moulin Rouge eine schräge Mariage eingingen und den Abend mit viel Drive zum Abschluss brachten.
Immer auf der Höhe zeigten sich (trotz einer verletzungsbedingten Umstellung) die Tänzerinnen und Tänzer des Berner Balletts. Und nachdem wir die letzten Male des öfteren im halbleeren Theater gesessen hatten, freuten wir uns besonders, die vollbesetzten Ränge der Vidmarhalle zu sehen.
Technisches: Da wir an der Dernière waren, kann ich hier keine weiteren Daten angeben. Als Ergänzung zu meinem Post verweise ich aber gerne auf den schönen Beitrag bei art-tv.ch und auf die Rezension von Marianne Mühlemann in der Berner Zeitung.