Der Nabel der Welt hat die Form eines gedrungenen Tannzapfens, ist aus Marmor und nicht ganz einen Meter hoch. Zeus hatte von den beiden Enden der Welt je einen Adler fliegen lassen, und hier, genau in der Mitte, trafen sie sich: in Delphi. Hier, am Nabel der Welt, blühte über die Jahrhunderte eines der wichtigsten Heiligtümer der antiken Welt. Kühn liegt der heilige Bezirk des Apollon am steilen Abhang des Parnass; der Blick schweift über das Tal und die Ebene mit dem grössten Olivenhain Griechenlands bis hinunter zum Meer bei Itea. Im Museum sind all die Schätze verwahrt, welche Staaten, Städte und Würdenträger aus der ganzen damals bekannten Welt dem Gott (und sich selber) darbrachten.
Das letzte Mal waren wir 2003 in Delphi. Schlechtes Timing: In den vorolympischen Monaten wurde in ganz Griechenland die öffentliche Infrastruktur erneuert, und dazu gehören in diesem glücklichen Land neben Autobahnen und Metro auch die Museen. Einzig den Wagenlenker zeigte man uns damals, wie zum Hohn. Entsprechend gespannt war ich diesen Herbst auf das neu gestaltete Museum. Ich gestehe: Es hatte schon gewonnen, bevor ich es sah. So ist dies hier alles andere als ein objektiver Bericht. Zudem war unser Besuch etwas kurz – der Bus von Athen hatte Verspätung gehabt am Morgen, es blieb uns nicht mal eine Stunde für das Museum. Einer guten alten Gewohnheit folgend konzentrierte ich mich vorwiegend auf die archaische Kunst: gewaltig die beiden Jünglingsstatuen, bekannt als Kleobis und Biton, wie sie majestätisch ihren Raum dominieren; ein quicklebendiger Bilderbogen die Friese des Schatzhauses der Siphnier, wo sich archaisch-tänzerisch und zugleich kraftvoll die Schlacht zwischen Göttern und Giganten, der Krieg vor Troja, das Urteil des Paris entfalten; die Karyatide, die einst den Giebel trug, blickt mit mysteriösem Lächeln auf die Reliefs, und hoch thront darüber thront die Sphinx der Naxier... Jedes Stück ein Meisterwerk, der Besuch ein Genuss. (Und welche Überraschung, nebenbei, für einmal in einem griechischen Museum eine gutgelaunte Aufseherin anzutreffen, die sich freundlich mit den Besuchern unterhielt und einem jener technisch Behinderten, die es nicht fertig bringen, auf ihrer Kamera den Blitz auszuschalten, kein schrilles „no flash“ entgegenschleuderte, sondern ihn verständnisvoll auf seinen Lapsus hinwies!)
Später, in Athen, erzählte mir E., ihre Mutter, eine Fremdenführerin, sei vom neuen Museum eher enttäuscht gewesen: Die Aufstellung und Beleuchtung sei suboptimal, die schönen Augen des Wagenlenkers beispielsweise lägen im Schatten. Das, zum Beispiel, hatte ich nicht gemerkt. Ich bin wohl wirklich kein objektiver Berichterstatter. Dass Delphi das am schönsten gelegene griechische Heiligtum und dass sein Museum eines der konzentriertesten, hochstehendsten Griechenlands ist, das hingegen konnte mir nicht entgehen.
Technisches: Museum und archäologische Stätte von Delphi sind im Sommer täglich von 8 bis 19:30 geöffnet (zu einem kombinierten Eintritt von 9 EUR – was sagst du dazu, Historisches Museum Bern?). Die Anreise nach Delphi ist etwas mühsam: Wer nicht mit einer organisierten Reise oder mit dem Privatauto kommt, nimmt in Athen morgens um halb acht den öffentlichen Bus vom Liossion-Busbahnhof und ist auch ohne Stau kaum vor elf in Delphi. Als Trost auf den endlosen Strassen mag das Wissen um die Bedeutung der drei Sterne im Reiseführer dienen: definitiv „eine Reise wert.“