Samstag, 10. November 2007

Berner Nabelschau

Was man den Bernern gewiss nicht vorwerfen kann, ist mangelnder Lokalpatriotismus. Die aktuelle Sonderausstellung im Historischen Museum Bern heisst „Berns Weg in die Moderne“, und als roter Faden dient der „Berner Pioniergeist von 1899-2007“: Da verbinden sich über hundert Innovationen, Errungenschaften und Meilensteine aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur zu einem Panoptikum des Ruhms von Stadt und Kanton Bern. Eingeleitet wird diese Chronologie durch einen Rückblick auf den Beginn der Moderne um 1800; ergänzt wird sie durch analytischere Schlaglichter auf einzelne Grossereignisse und Epochen, auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen und die Befindlichkeitsgeschichte in der Schweiz und der Welt. Besonders eindrücklich fand ich den in Biel produzierten Chevrolet (aus der General-Motors-Fabrik, die von der Stadt in einem innovativen Akt staatlicher Wirtschaftsförderung in der Krisenzeit der Dreissiger Jahre schlüsselfertig zur Verfügung gestellt wurde) und den Überblick über Alltagsdesign im 20. Jahrhundert. (Was übrigens wieder mal zur Frage Anlass gibt, weshalb das Design von hundertjährigen Geräten dermassen himmelweit besser ist als das meiste, was heute in den Geschäften steht. Vielleicht, weil das Aussehen damals noch wirklich von der Funktion und vom Material bestimmt und deshalb auf eine verbindliche Weise ehrlich war? Oder einfach, weil uns das schiere Alter sämtliche Kritik ausblendet? In einer ebenfalls ausgestellten Publikation des Heimatschutzes von 1905 wurden jedenfalls ausgerechnet die grossartigen Hotelpaläste der Belle Epoque am Genfer- und anderen Seen als das Hinterletzte an Landschaftsverschandelung gegeisselt...)

Mit dieser Serie von Pioniertaten spielt das Museum gekonnt eine der grossen Stärken zeitgeschichtlicher Ausstellungen aus: Viele der gezeigten Objekte sind den BesucherInnen aus ihrer eigenen Lebensgeschichte vertraut. Damit wird die wissenschaftliche Aufarbeitung ganz von selbst durch die persönliche Perspektive in einen zusätzlichen Kontext gestellt; der Ausstellungsbesuch wird vielschichtiger, der Besucher zum Mit-Experten. Das Konzept hat allerdings eine deutliche Kehrseite: Wenn hundert Objekte versammelt werden, deren einzig Verbindendes ihre Entstehung in Bern ist, droht Belanglosigkeit. Die Ausstellung ist nicht frei von einer Tendenz zum wenig stringenten Abfeiern der lokalen Genialität, zu einem Panoptikum ohne inneren Zusammenhalt. (Nebenbei bemerkt scheint mir dieses Zelebrieren der eigenen Bedeutung charakteristisch für Städte wie Bern. Oder kann man sich eine Ausstellung „Londoner Pioniergeist“ vorstellen? Oder eine ähnliche Grossschau in einer Kleinstadt wie Fribourg?) Und so ist der stärkste Teil der Ausstellung letztlich der erste Raum, der den politisch-gesellschaftlichen Rahmen für Berns Weg in die Moderne absteckt und die Bedeutung des Epochenwandels um 1800 vor Augen führt. Als riesige Wand begrüssen dort die als „Trachtenbilder“ bekannten Porträts von Josef Reinhard den Besucher. Aber dieses Mal geht es nicht um Folklore. Mit eindrücklichem, souveränem Dreh erhalten die Bilder der Schweizer Landsleute zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine neue Interpretation als Porträts derjenigen, die jetzt die Geschicke des Landes in die Hände nehmen, der Bürgerinnen und Bürger. Die Aristokraten des Ancien Régimes sind im engen Raum hinter den ehemals Beherrschten und neu selber Bestimmenden ausgestellt – um nicht zu sagen entsorgt. Und den Wänden entlang zeigen Verfassungs- und Propagandatexte den Weg dieser Trachtenträger durch ein oft wenig beachtetes, aber hochspannendes Jahrhundert von Objekten zu Subjekten der Geschichte.


Technisches: Die Ausstellung „Berns Weg in die Moderne“ ist noch bis am 6. Januar 2008 im Historischen Museum Bern am Helvetiaplatz zu sehen. Als etwas halsabschneiderisch habe ich den Eintrittspreis von 18 Franken empfunden. Natürlich ist da der Eintritt in die ständige Ausstellung und ins Einsteinmuseum auch inbegriffen; aber ehrlich: Nach zwei Stunden intensiven Ausstellungsbesuchs bin sogar ich erst mal erschöpft. Als Ort für Rast und Stärkung empfiehlt sich das edle museumseigene Bistro Steinhalle.

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