Sonntag, 4. August 2013

Villa Adriana (Katalogreisen, Nr. 3)

Die Katalogreisegruppe verlässt Rom mit der Metrolinie B, wechselt in Ponte Mammolo in den Bus Richtung Tivoli, fährt durch ärmliche Banlieue ostwärts, steigt rechtzeitig vor dem Anstieg nach Tivoli aus, irrt ein wenig durch ein Mittelklass-Wohnviertel und langt endlich glücklich bei der Villa Adriana an. Während der langen, intensiven Besichtigung kommt ein Diktum von Moses I. Finley (Die antike Wirtschaft, p. 118) in den Sinn: Auch sehr reiche Römer konnten „keinem Vergleich mit den Kaisern selbst standhalten, deren Ansammlung von Grundeigentum … insgesamt eine Grösse erreichte, die unsere Vorstellungskraft, wären uns die Zahlen bekannt, übersteigen würde.“ Die Villa Adriana, Herrschaftssitz des Kaisers Hadrian, auf dem Land gegen die Albaner Berge angelegt, sprengt alle Dimensionen und entzieht sich allen Vergleichen: imperiale Residenz und World Miniature gleichermassen, in freier, fast chaotischer Anordnung in die natürlichen Hügel und Senkungen eingepasst, die gesamte römische Architektur zitierend und gleichzeitig nach Belieben innovativ, Arbeits- und Wohnort Hunderter von Menschen.

Wer an einem heissen Herbsttag stundenlang durch die hektarweise sich ausdehnenden Ruinen wandert, mit Hilfe des abgegebenen Plans sich einen Reim auf die Architektur zu machen sucht, vor der Fülle von Material, Details und Information jedoch zwangsläufig kapitulieren muss, besucht beim Ausgang gerne den Shop: Das Gefühl, der grossartigen Stätte nicht gerecht geworden zu sein, verleitet wie von selbst zum Kauf des Ablasses, sprich des Katalogs, mit dem Ziel, die detaillierte Beschreibung der Villa mindestens durch Besitz sich zu eigen zu machen. Eher unwahrscheinlich ist der Idealfall, dieselbe sogar nachzulesen, und ohne meinen Katalogreisenvorsatz hätte auch ich es wohl bleiben lassen. Das wäre schade gewesen: Das schmale, handliche Buch vermittelt effizient ein gutes Verständnis der antiken Stätte. Es liefert die notwendigen biografischen Hintergründe zum Bau- und Hausherrn, skizziert die grossen Linien des architektonischen Projekts, seine Geschichte und Umsetzung, und beschreibt dann knapp, aber mit dem gebotenen Detail alle Gebäude, Höfe und Plätze und versucht eine Interpretation ihrer Funktion. Die Lektüre dauert wenig länger als eine ausführliche Besichtigung der Villa Adriana und ruft dem Katalogreisenden die schon verblassten Eindrücke seines Besuches wieder schlüssig ins Gedächtnis. Kritisch zu bewerten ist einzig (gerade im Vergleich mit den grossartigen Katalogen der Centrale Montemartini und der Kapitolinischen Museen) das Bildmaterial. Gewisse Illustrationen sind von mittelmässiger Qualität, gewisse Gebäude sind gar nicht oder nur mit wenig repräsentativen Aufnahmen bebildert. Am schwersten ins Gewicht fallen die unzulänglichen Pläne: Der Katalog enthält mehrere Karten, Gesamtansichten und Rekonstruktionen, aber wirklich hilfreich ist nichts von alledem – ganz besonders nicht das Foto des Modells auf Seite 26, das seitenverkehrt abgedruckt wurde... Der an sich gute Gesamtplan hätte unbedingt mit vergrösserten Details ergänzt werden sollen, um eine komfortable Periegese zu ermöglichen. So wird die Orientierung etwas zum Sport. Wer kombinieren und Karten lesen kann, erfährt dafür die Befriedigung, sich sein Gesamtbild aus den bescheidenen Grundlagen selber erarbeiten zu können.

Technisches: Benedetta Adembri, Villa Adriana. Milano, Mondadori 22008. ISBN 978 88 435 7718 7. Der Katalog ist ausser in Italienisch auch in Deutsch, Französisch, Englisch und Spanisch erhältlich.