Freitag, 27. September 2013

Ara Pacis (Katalogreisen, Nr. 4)

Es gibt Museumskataloge, zu deren Lektüre nicht einmal eine Katalogreise motivieren kann. Auf dem römischen Regal bleiben vorläufig ungelesen: die beiden schmalen Bändchen zum Forum Romanum und zum Kolosseum, die eigentlich in die Kategorie Reiseführer gehören; der Führer durch die Domus Aurea, weil ich diese zunächst überhaupt mal besichtigen möchte; und der Katalog des grossartigen Palazzo Massimo alle Terme, der mir jetzt einfach zu gewichtig, zu katalogig ist (und den ich seinerzeit, meinem Italienischen zu wenig vertrauend, auf Englisch gekauft hatte).

Eine Station müssen wir aber unbedingt noch machen in Rom, bevor wir nordwärts weiterreisen, einen Katalog lesen, ein Monument besichtigen: die Ara Pacis Augustae. Jeder Studierende der Klassischen Archäologie hat dieses Denkmal und seine Reliefs vorwärts und rückwärts durchgearbeitet. Allen anderen sei einleitend erklärt, dass es sich um einen Altar handelt, den der Senat 13 v.Chr. zu Ehren des Augustus errichten liess; und weil „Altar“ jetzt nicht gerade umwerfend tönt, sei sogleich präzisiert, dass das Wesentliche an der Ara Pacis ihre Umfriedung ist, eine Art monumentaler rechteckiger Paravent aus Marmor mit reicher Reliefdekoration. Es gibt wenige antike Monumente, die ideologisch, historisch und künstlerisch derart aufgeladen sind wie die Ara Pacis. Anlass für ihre Weihung war Augustus‘ Rückkehr von einer dreijährigen Kampagne nördlich der Alpen, wo er in Iberien, Gallien, der heutigen Schweiz und an der Donau zum Rechten sah und aus Sicht Roms die Periode des augusteischen Friedens einleitete. Die imperiale Propaganda verbreitete das Bild von Augustus als Befrieder des Reiches mittels offizieller Kunstwerke bis in dessen entfernteste Winkel, und Initialzündung und Ausgangspunkt dieser Propaganda war eben der Altar, der dieser Pax Augusta geweiht wurde. Der Botschaft und dem Geehrten angemessen gehören die Reliefs der Umfriedung zu den besten Stücken der römischen Kunst: Im unteren Register ranken sich Akanthus, Palmetten und Blüten; Eidechsen und Skorpione huschen durch das lebendige Grün. Darüber stehen römische Gründungsmythologie und göttliche Symbolik, und über die beiden Schmalseiten schreitet gewichtig eine Prozession (zum Altar hin, mag man sich denken), in der die höchsten geistlichen und weltlichen Würdenträger Roms erkennbar sind (und unter denen die erwähnten Studierenden jeweils auch noch die Grossneffen dritten Grades von Augustus zu identifizieren haben).

Zur künstlerischen Qualität und zum ideologischen Gewicht kommt die bewegte Fundgeschichte der Ara Pacis. Im sechzehnten Jahrhundert tauchten erste Fragmente auf dem Kunstmarkt auf, gelangten in bedeutende Sammlungen. Da der Altar jedoch unter den Fundamenten eines Palazzo lag, waren systematische Ausgrabungen schwierig, bis es einigen Haudegen der 1930er Jahre gelang, 600 Kubikmeter Untergrund einzufrieren, um die Reste der Ara Pacis gefahrlos unter dem Palast herauszuholen. Auftraggeber der archäologischen Kommandoaktion war ein alter Bekannter, Benito Mussolini, der seine eigenen imperialen Ansprüche regelmässig durch ausführliche Rückgriffe auf die Antike ideologisch untermauerte. Zur Zweitausendjahrfeier von Augustus‘ Geburt 1937 wollte der Duce die Ara Pacis rekonstruiert haben, was in einem in aller Eile errichteten Pavillon am Tiberufer auch tatsächlich gelang. Das Providurium musste erst vor wenigen Jahren einem Neubau weichen, einem beeindruckenden Monument von Richard Meier (darunter macht mans nicht), das jetzt den Altar und seinen Kontext mustergültig präsentiert.

Glücklich der Archäologe, der zu einem solchen Denkmal den Katalog schreiben darf! Das Material ist überschaubar genug, dass man bei der Beschreibung ins Detail und daneben in die Breite und Tiefe gehen, Bau- und Grabungsgeschichte rekonstruieren, Verwandtes und Ergänzendes referieren kann. Orietta Rossini hat sich für den offiziellen Führer der Aufgabe gewachsen gezeigt. Ihr Buch, eher eine Monografie denn ein Katalog zu nennen, überzeugt durch seine Systematik, den gelehrten, verständlichen Text, die Auswahl verwandter Themen, zu denen ein Kurzabriss von Augustus‘ Rechenschaftsbericht Res Gestae gehört, und durch die opulente, präzise und detailgetreue Bebilderung. Die endlosen Hypothesen darüber, welche Verwandten von Augustus wo genau in der Prozession dargestellt sind, kann der Nicht-Archäologe ja grosszügig überfliegen. So liest sich das gewichtige, fast furchteinflössende Werk erstaunlich leicht und vergnüglich, und beschwingt verabschieden wir uns vom imperialen Rom heimwärts.

Technisches: Orietta Rossini, Ara Pacis. Milano, Einaudi 22007. ISBN 978 88 370 5367 3. Beim Stöbern in meiner Bibliothek fiel mir ein Vorvorgänger dieses neuen Katalogs in die Hände, Die Ara Pacis Augustae von Giuseppe Moretti (Deutsch von Ernst Hohenemser) von 1938 aus der Reihe der Führer durch die Museen und Kunstdenkmäler Italiens. Das kleine Heftchen bot eine angenehme Zusammenfassung zum Abrunden, ist jedoch vor allem wegen zweier Kuriositäten erwähnenswert: wegen der Preisetikette von 250 Lire und wegen des Datums auf dem Titelblatt: A. XVII E.F. – ja genau, im Jahre 17 der faschistischen Ära. Die anderen erwähnten Führer: Paola Guidobaldi, Il Foro Romano. Milano, Electa 22004. ISBN 88 435 6333 5. Letizia Abbondanza, Le Colisé. Traduction de Jérôme Nicolas. Milano, Electa 22005. ISBN 88 435 8226 7. Elisabetta Segala, Ida Sciortino, Domus Aurea. Traduction de Jérôme Nicolas. Milano, Electa 22005. ISBN 88 370 4107 1. Adriano La Regina (ed.), Museo Nazional Romano, Palazzo Massimo alle Terme. English Edition. Milano, Electa 1998. ISBN 88 435 6584 2.