Samstag, 5. Juli 2008

Tanzende Nachlese

Die Theatersaison ist vorbei. Nachzutragen ist der Bericht zur Dernière von Bern:Ballett, einem Abend, zu dem Cathy Marston unter dem Namen Tanz4 drei ChoreografInnen eingeladen hat, mit ihr zusammen je ein Stück beizusteuern. Ich schreibe mit Verspätung, und all die spannenden Details, über die ich hätte berichten wollen, sind mir längst entschwunden. Geblieben ist der Gesamteindruck eines reichhaltigen Abends: reich an Tanzsprachen, reich an Fertigkeiten, reich aber auch an Einblick und Verständnis des tänzerischen Schaffensprozesses.

Man muss sich das so vorstellen: Teresa Rotemberg, Hofesh Schechter und Alexander Ekman kommen nach Bern, lernen die dortige Compagnie kennen und vermählen dann, unvoreingenommen, offen und sensibel, dieses "Rohmaterial", dieses Reservoir von Typen und Talenten, mit ihren eigenen Vorstellungen jeweils zu einem charakteristischen dreissigminütigen Ganzen. Das Ergebnis sehen wir auf der Bühne, und wir bewundern die Vielfalt der tänzerischen Formen, der Tanzdialekte, um es so zu sagen, das technische Können und die Athletik des Bern:Ballett. Zudem sehen wir vier Videos: Interviews mit den ChoreografInnen, in denen sie über Gott und die Welt und die gute Berner Luft reden, aber auch über ihre Arbeit mit der Truppe und die Ideen und Vorstellungen, die sie in Tanz giessen wollten und gegossen haben. Das ist teils amüsant und vor allem hilfreich, verhilft zu einer zusätzlichen Ebene hinter derjenigen, die sich vor unseren Augen abspielt. Das Ganze findet statt auf der grossen Bühne der Vidmarhallen, in diesem breiten, neutralen und dadurch anpassungsfähigen und ideal geeigneten Theaterraum. Die Zuschauerränge waren, erfreulich, praktisch vollbesetzt; ganz anders als noch zwei Wochen zuvor bei den "Gespenstern".

Da ist viel Leben drin, Neugier, Engagement, Kreativität, Unvoreingenommenheit. Cathy Marston tut Bern gut. Für die nächsten Saison sind wiederum drei Ballettabende geplant, literarische Interpretationen (The Tempest, Wuthering Heights) und freiere Stücke (siehe das Spielzeitheft [PDF, 4 MB]). Es gibt allen Grund, sich darauf zu freuen.


Und all denen, die jetzt doch noch ein bisschen inhaltlich was wissen möchten, empfehle ich die Lektüre der Besprechungen im Bund und bei tanznetz.de sowie die Interviews mit den ChoreografInnen des Abends auf tanzkritik.net.

Freitag, 4. Juli 2008

Gurkophon und Melanzaniklappe

Im Dämmerlicht treten elf Männer und Frauen auf die Bühne des Belluard-Festivals, schwarz gekleidet, stellen sich ruhig im Halbkreis auf, die Stimmung ist fast feierlich. Dann blendet das Licht auf - und plötzlich sieht man das Grünzeug, das sie in den Händen halten: Karotten, Stangensellerie, Rettiche, Bohnen, Petersilie, eine Wassermelone. Lacher im Publikum: Das Erste Wiener Gemüseorchester ist bereit zum Konzert.

Welche Töne kann man Gemüse entlocken? Unzählige. Einige sind nicht übermässig spektakulär: das Knacken von Stangensellerie, das Runterrieseln von weissen Bohnen, das Flappen der Melanzani-Klappe. Aber dann wirds schon grooviger: Das dumpfe Geräusch eines Faustschlages auf eine Wassermelone, von einem Mikrofon am geeigneten Ort platziert aufgenommen, wird zum pulsierenden Bass. Petersilienstiele, mit etwas Spucke befeuchtet und aufeinander gerieben, bringen das sanfte Säuseln von Geigen hervor. In einen ausgehöhlten Rettich wird Wasser gefüllt und mit gefühlvollem Blasen zum Blubbern gebracht. Und dann die veritablen Instrumente! Ausgebohrte Karotten sind ein besonders dankbares Ausgangsmaterial: Sie werden mit Löchern versehen zur Flöte (alternativ mit Peperoni als Schalltrichter), sie dienen als Klangstäbe für ein Xylophon oder als Mundstück für eine Rettichtrompete. Ähnlich vielseitig sind Gurken. Aber auch die Lauchgeige verdient Erwähnung und besonders die sehr solistische Art, wie ihr Interpret sie spielte.

Diese Klangvielfalt setzt das Gemüseorchester zu kurzen, von elektronischer Musik inspirierten Stücken zusammen. Rhythmus- und bassdominiert sind die meisten, einige hauptsächlich schrill, andere melodisch und erstaunlich komplex. Genaues Zuschauen und -hören sind angesagt, wenn man den optischen mit dem akustischen Eindruck abgleichen will; entsprechend sind die Aha-Effekte von Strahlen und Lachen begleitet. Die trockenen Anmoderationen sowie das Ausprobieren, Abstimmen und Reparieren der Instrumente (alte Karotte raus, neue rein) im laufenden Betrieb machen das Konzert vollends zur Performance.

Zum Schluss werden dem Publikum die Reste vom Rüsten in Form einer Gemüsesuppe serviert. Trotzdem sind wir nach dem Konzert leicht beklemmt: Geht das wirklich, mit Esswaren zu spielen, ja sie lustvoll und performativ zu zerstören wie die Tomaten in der Zugabe? Das ungute Gefühl nehme ich ernst, aber es zielt ins Leere. Das Gemüseorchester führt uns nur besonders drastisch und sinnlich vor Augen, dass Kultur per se ein Luxus ist - und damit in höchstem Masse verschwenderisch. Was bedeutet das denn beispielsweise, zu Festivalzwecken elf Leute samt technischem Personal für einen Abend von Wien nach Fribourg und wieder zurück zu transportieren? Da die aktuelle Biosprit-Diskussion den direkten Vergleich von Fahrdistanz und Nahrungsmenge erlaubt, rechnen wir: Um biogetrieben die 1400 Kilometer von Wien nach Fribourg und zurück zu fahren, braucht man fast eine Tonne Mais. Davon lebt ein Mensch mehr als ein Jahr lang. Dieser ganz alltägliche Ressourcenverschleiss ist, wenn man von Skandal reden will, der eigentliche Skandal; ein Skandal, der natürlich nicht nur dem Konzert des Gemüseorchesters innewohnt, sondern unserer Lebensweise, unserer Zivilisation ganz fundamental.