Montag, 12. Juli 2010

Make this moment sweet again

Ich wiederhole mich, ich weiss – aber ich wiederhole mich gerne: Der Festivalsommer ist etwas vom Faszinierendsten in Fribourg, und er trägt (zusammen mit der Uni und der Zweisprachigkeit) entscheidend dazu bei, dass sich diese Kleinstadt so viel grösser und weiter anfühlt. Zur Dreifaltigkeit BelluardJazzParadeRencontres Folkloriques gesellt sich alle zwei Jahre das Festival für geistliche Musik, und die vielen Quartierfeste führen ohnehin dazu, dass da und dort regelmässig Biertische und vietnamesische Essensstände auf den Strassen stehen. Und so geschieht beispielsweise folgendes: In einer Viertelstunde zu Fuss bin ich auf der Place Python, dem Epizentrum der JazzParade, zahle symbolische fünf Franken Eintritt… und höre die grossartigen New York Voices! Und nicht nur das: Nach dem Konzert kaufe ich am Tisch vorne bei der Bühne als Andenken eine CD, kann ohne Aufhebens das Backstage-Zelt betreten, mit Kim Nazarian, Lauren Kinhan, Darmon Meader und Peter Eldrige bei einem Becher Bier ein paar Worte wechseln und meine CD signieren lassen. Die vier haben sich offensichtlich bestens amüsiert in Fribourg, und das war nicht das erste Mal: Vor fünf Jahren seien sie schon an der JazzParade gewesen, erzählen sie, und sie freuten sich wahnsinnig über die erneute Einladung. Und sie rühmen ihre Begleitung, das Fribourg Jazz Orchestra, auf das die Stadt stolz sein könne. Keine leeren Worte: Die Chemie stimmt auf der Bühne; da ist eine enorme Spielfreude spürbar und trotz der hochpräzisen Interpretation eine grosse Lockerheit.

Zur Musik kann ich weniger sagen. Ich höre selten Jazz, weil ich zu ihm nicht wirklich einen emotionalen Zugang habe. Bei den New York Voices fasziniert mich zunächst das Technische, ihre absolute Meisterschaft – gerade weil ich weiss, wie unglaublich schwierig diese Musik zu singen ist. (Wir hatten uns mal an A Nightingale sang on Berkeley Square versucht und nach kurzer Zeit entmutigt die Waffen gestreckt…) Aber dann gibt es auch diese magischen, meist leiseren Momente, wo unerwartet eine nie gehörte Harmonie aufleuchtet wie die Sonne nach dunklen Wolken und mit ihrer Schönheit meinen Atem stocken lässt.


Tags darauf war ich kurz entschlossen gleich nochmals auf der Place Python. Es war jenes einzige Mal im Jahr, wo man in Fribourg Wildfremde auf Deutsch ansprechen kann: der traditionelle Mundart-Rock-Abend der JazzParade. Zu Gast war dieses Mal Stiller Has, das Naturereignis des Schweizer Rock. Ich kenne keinen anderen Sänger, der von der ersten Sekunde an eine solche raumfüllende (was sage ich: platzfüllende) Präsenz ausstrahlt wie Endo Anaconda. Die neu formierte Band mit Salome Buser an Bass und Tasten und Markus Fürst am Schlagzeug neben dem altgedienten Meistergitarristen Schifer Schafer umhüllt ihn mit einem satteren, intensiveren Sound. Die wenigsten Songs kenne ich; gespielt wird in erster Linie die (nicht mehr ganz) neue CD, die damit bestens beworben wird: Keine Schwächen oder Durchhänger, alles überzeugt. Die alten Songs, so erklärt Endo übrigens, würden sie grundsätzlich gerne noch spielen, sie können sie einfach noch nicht… Für ein paar Hits hats dann zur Zugabe doch noch gereicht, bevor das begeisterte Publikum langsam die dicht vollgepackte Place Python zu verlassen beginnt.

Mittwoch, 7. Juli 2010

Für immer und ewig

Ich fürchte, ich bin dem Bern:Ballett diese Saison mit meinen zwei kurzen Artikeln noch nicht richtig gerecht geworden. Gelegenheit zum Ausgleich bietet glücklicherweise der letzte Ballettabend, Auf immer und ewig, ein so unterhaltsames wie hochstehendes Spektakel, das wir uns vor einem Monat auf der Bühne von Vidmar:1 zu Gemüte geführt haben. An erster Stelle zu nennen und zu loben ist wiederum die Vielseitigkeit des Ensembles, welches zwei ganz unterschiedliche Stücke mit grosser physischer und akrobatischer Präsenz zum Leben erweckte. Cathy Marston eröffnete den Abend mit CLARA, ihrer Interpretation der Dreiecksbeziehung zwischen Clara Schumann, ihrem Mann Robert und Johannes Brahms. Unglückliche oder schwierige Liebeskonstellationen sind offensichtlich ein Lieblingsthema der englischen Ballettdirektorin von Bern. Entsprechend haben wir einen guten Teil des Bewegungsrepertoires, viele der Varianten des Aufeinander-Zustrebens und Sich-voneinander-Wegreissens auch schon gesehen. Speziell waren zwei Dinge; zunächst die Musik, die von den ProtagonistInnen selber stammte und von der Pianistin Sonja Lohmiller und dem Bariton Benoît Capt live dargeboten wurden. (Dem musikologisch Bewanderten hätte das Zusammenspiel von Musik und Tanz gewiss eine ganze Menge zusätzlicher Interpretationsansätze geboten.) Sehr überzeugend dann vor allem der Rest des Ensembles: In neutralen, grauen Kleidern dienen sie als Statisten, als Staffage gleichsam, als Hintergrund für die fast kämpferische Konfrontation von Clara, Robert und Johannes. So rollen sie einmal mit ihren Körpern parallele Spannteppichbahnen über die Bühne, spielen gekonnt mit der Uniformität des Lebens wie auch mit dem Aneinander-Vorbei-Leben; und in einer der stärksten Szenen werden sie zur Wand, zur Mauer zwischen den Liebenden, die offen und durchbrochen erschien, aber dennoch kaum zu überwinden war.

Ganz anders dann das zweite Stück des Abends, Howl von Andrea Miller. Temporeich, athletisch und artistisch entfalten sich seine Szenen. Zentral ist das anspielungsreiche Spiel mit den Kostümen: Das gesamte Ensemble erschien durchgehend in hellbeigen Overalls und ebensolchen antiken Badekappen und kann so gewandet genauso gut ein locker-verspieltes Vaudeville darstellen (mit vokaler Beteiligung der Tänzerinnen und Tänzer) wie eine bedrückende Irrenanstalts-Atmosphäre voller schmerzhafter Verrenkungen und brutaler Kämpfe.

Ein besonderes, überraschendes Zückerchen gab es nach der Pause zwischen den beiden Stücken. Da bevölkerte sich die Bühne mit Dutzenden von Tänzerinnen und (wenigen) Tänzern des tanzpädagogischen Projekts Dogs in a Park: Ein kurzes, intensives Spektakel, geprägt von Massenszenen und originellen Einzelakzenten, vom souveränen Auftreten und der Spielfreude seiner Darstellerinnen. Sie haben mit ihrer Arbeit gezeigt, dass Tanz mehr ist als die Hochleistungskunst der Profis; dass auch Amateure die Freude am körperlichen Ausdruck und am Zusammenspiel in grossartige Bilder und Szenen giessen können.


Technisches: Das wahre Leben hat bei mir in den letzten Wochen deutlich die Oberhand behalten gegenüber dem Bloggen. Deswegen hat sich hier etliches verspätet, kommen einige Berichte – darunter dieser hier – nur noch als nostalgische Rückblenden zur Publikation… Und noch ein kurzes mahnendes Wort an den Webmaster des Stadttheaters: Cool URLs don’t change. Ihr Verschieben der vergangenen Saisons an eine neue Archiv-URL ohne funktionierenden Redirect finde ich wenig benutzerfreundlich.