Freitag, 20. Juli 2007

Freiburger und europäische Visionen

Schon mehrmals habe ich hier den Freiburger Festivalsommer en passant erwähnt; hier sei nochmals explizit gesagt: Was in dieser Stadt vom Juni bis im August quantitativ und qualitativ geboten wird, ist dazu angetan, weit grösseren, bedeutenderen und reicheren Städten die Schamröte ins Gesicht zu treiben. (Bern zum Beispiel hängt seit letztem Jahr unter dem Titel BernerKulturSommer Plakate aus, die im Wesentlichen ein paar Konzerte und zwei-drei Open-Air-Filme so gruppieren, dass es ein bisschen nach Gesamtkunstwerk aussieht. [UPDATE: Nicht mal mehr der Link darauf funktioniert.]) Nicht dass ich mich nun täglich (bzw. nächtlich) auf der Place Python rumtreiben würde; ich bin ein eher eklektischer Festivalgänger, entscheidend und beglückend finde ich bereits das Gefühl, dass ich mich tatsächlich täglich auf der Place Python rumtreiben könnte.

Zu berichten ist hier vom Abend des 18. Juli auf der Jazzparade. Jazzfestivals haben ja, soweit ich sehe, die praktische Eigenheit, dass sie als Vorwand zur Darbietung von allerlei Musik dienen können – so ists jedenfalls in Montreux, und in Freiburg ist das nicht anders. Am Mittwochabend war allerdings wirklich Jazz angesagt, mit Thierry Langs Lyoba Project sowie dem Vienna Art Orchestra. Lang, aus Romont gebürtiger Pianist mit inzwischen internationaler Strahlkraft, hat sich der Musik seiner Heimat angenommen, genauer: der „Volkslieder“ von Abbé Bovet und Abbé Kaelin. Zusammen mit Bass und Trompete, ergänzt durch vier klassische Celli, explorierte er Le Ranz des Vaches, Nouthra Dona di Maortsè und andere Klassiker. Der angekündigte Respekt vor dem traditionellen Liedgut war spürbar; es war allerdings keine Gralshüterei, sondern ein sehr lebhafter, kreativer und spielfreudiger Respekt. Schade, dass das ursprüngliche Projekt einer Zusammenarbeit des Jazztrios mit einem Chor nicht verwirklicht werden konnte; aber die Celli brachten einen sinfonisch-zeitlosen Touch in die Lieder, der sehr angemessen ist.

Das Vienna Art Orchestra, der Hauptact des Abends, ist zur Zeit auf Jubiläumstournee: Seit dreissig Jahren existiert die „grossartigste Big Band Europas“ (Peter Rüedi in einer wie immer höchst lesevergnüglichen Rezension), und zum Geburtstag präsentiert sie ein Werk von titanischen Dimensionen, sowohl im Umfang als auch im Anspruch: Die Trilogie American Dreams – European Visionaries – Visionaries & Dreams. Amerika und Europa im Widerstreit und im Dialog; der neue Kontinent verkörpert durch dreizehn Schauspielerinnen, der alte durch dreizehn führende Denker. Am Mittwoch wurde der europäische Part gegeben: Dreizehn Stücke also, musikalische Porträtskizzen von dreizehn Geistesgrössen durch die Jahrhunderte, von Franz von Assisi bis zu Stephen Hawking. In seiner stilistischen Vielfalt war dieser Abend ein bemerkenswerter Beitrag zur aktuellen Debatte über altes und neues Europa, über die Fundamente des Abendlandes und ihre Gefährdung. Dass die heute regelmässig beklagte oder angefeindete Abwesenheit einer strikten Wertegemeinschaft selber ein grundlegender Wert ist, hervorgegangen aus jahrhundertelangem Ringen um Erkenntnisse und Wahrheiten, dass sie aber nicht verwechselt werden sollte mit einem unbestimmten anything goes: Das alles kommt in musikalischer Form überraschend neu und zwanglos selbstverständlich daher.

Einzelheiten herauszuheben aus dem Gesamtkunstwerk European Visionaries ist mir praktisch unmöglich (auch weil ich nun wirklich kein grosser Jazzkenner bin). Erwähnen will ich aber das einzige vokale Stück, den Sonnengesang von Franz von Assisi, nach unzähligen Versionen aus dem religiösen Musikschaffen hier für mich erstmals in einer sehr berührenden Jazzversion.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen