Montag, 2. Juli 2007

Gräben und Granaten

Wenn die längsten Tage anbrechen, lohnt es sich, in Fribourg zu leben: Festivalzeit! Am Wochenende der Sommersonnwende verlustierte man sich an der Fête de la musique, an der Semaine médiévale - und am Paukenschlag zur Eröffnung des Bollwerkfestivals, dem spectacle pyrotechnique zwischen Bern- und Zähringerbrücke.
Das Programm im Bollwerk enthält dieses Jahr noch weitere Kostbarkeiten. Am Freitag präsentierte die holländische Gruppe Hotel Modern den Live-Animationsfilm "La grande guerre": Szenen aus dem ersten Weltkrieg, mit Plastiksoldaten, Kartonkulissen und Spielzeugpanzern in einer Erdlandschaft dargestellt und auf die Leinwand projiziert, dazu Auszüge aus Briefen eines französischen Soldaten von der Front. Ob das gut gehen würde, Krieg mit Spielzeugfiguren?

Es ging gut. Es ging sogar sehr gut. Nach einem kurzen Aperçu der Weltlage vor 1914, pythonesk inszeniert auf einer Europakarte der Compagnie des wagons-lits, verlagerte sich die Szene auf den riesigen, erdbedeckten Ateliertisch. Die Dörfer und Wälder des Beginns wichen bald dem Schlamm der Schützengräben, durch die beklemmend glucksend zwei Stiefel stapften. Artilleriefeuer brannte die Dörfer nieder, Senfgas kroch durch die Gräben, und der Frontsoldat Prosper verlor in den Briefen an die Mutter seinen Optimismus und jegliche Illusion. Die Live-Kameraführung war perfekt, die Schnitte präzis. Bei alledem erzeugten die Seitenblicke auf die realen Szenen und auf den Tonmeister am Hörspielsoundtrack gerade soviel Faszination und Staunen, dass das Grauen nicht allein dominierte. Am stärksten in ihrer schmerzhaften Poesie war für mich die Szene gegen Schluss, wo auf ein Gräberfeld mit Kreuzen Puderzuckerschnee fiel, mit dem Frühling schmolz... und aus den Gräbern wuchsen, dicht an dicht, Petersilienbäume.

Jedes gute Theater (und überhaupt jedes gute Kunstwerk) zeigt eine inszenierte, künstliche Realität, die unmittelbarer und präziser sein kann als die eigentliche Realität. Die waschmittelgetränkten Schützengräben und die angeschmolzenen, verrenkten Soldatenfiguren von Hotel Modern hielten uns in atemloser Beklemmung gefangen, die erst bei der anschliessenden Besichtigung der Szenerie und des Materials einem vorsichtigen Schmunzeln über die Kreativität der Inszenierung wich.

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