Montag, 9. Juli 2007

Hohe Brücken, tiefe Gräben

Die Stadt Freiburg feiert ihr 850-Jahr-Jubiläum klug, nämlich dezentral. Anstatt eine grosse Sause zu schmeissen mit dutzenden von Rednern, hängt sie sich an all die Festivitäten an, die ohnehin schon geplant sind, und lässt sie zur Feier des Jahres besonders festlich erstrahlen. So wurde die Fête de la musique von einem auf drei Tage ausgedehnt, und das Bollwerkfestival bekam zur Eröffnung ein pyrotechnisches Spektakel der Extraklasse verpasst. Und damit nach dem Jubiläumsjahr auch etwas im Bücherregal bleibt (und nicht zu gering), gibt die Bürgergemeinde ein Buch über die Stadt im 19. und 20. Jahrhundert heraus – Pflichtlektüre für einen Wieder-Neo-Freiburger wie mich.

Das Buch setzt da an, wo die Stadt zur Stadt wird; wo nach dem Ende des Ancien Régime die Untertanen frei werden (jedenfalls mehr oder weniger) und die vordem allmächtige Stadt eine Gemeinde wie jede andere. Das heisst, fast wie jede andere: Bei der Gütertrennung zwischen Stadt und Kanton zieht erstere nachhaltig den Kürzeren, und schon gehts los. Sie sollte nun auf eigenen Beinen stehen, hat aber nicht die Muskeln dazu; und mehr als behelfsmässige Krücken gibts von den ehemaligen Untertanen auch nicht. Ein dauerndes Feilschen und Kämpfen begleitet die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts: Da die aristokratisch geprägte, aber zeitweise auch radikal regierte Stadt, dort der konservative, mittels Budget und Ammann heftig mitregierende Kanton. Freiburg scheint nicht vom Fleck zu kommen; das äussert sich auch in der Wirtschaft: Der Kanton bleibt tief agrarisch geprägt, die einzige Industrie, die die Verantwortlichen sich vorstellen können, beschäftigt sich mit der Verarbeitung der Agrarprodukte. Mehr ist da nicht. Es braucht einen Visionär wie den Neuenburger Guillaume Ritter, der der Bürgergemeinde Wälder der Saane entlang abkauft, den Maigrauge-Staudamm baut und mit einem ingeniösen teledynamischen System die Wasserkraft auf die Pérolles-Ebene lenkt, wo er in grossen Umfang Industrie anzusiedeln gedenkt. Er scheitert, legt aber trotzdem die Grundlagen für die darauffolgende Industrialisierung.

Der aktuelle Claim von Freiburg als KulturBrückenStadt weist auf die Bedeutung der Brücken in dieser Stadt der steilen Felswände hin. Seit der Stadtgründung schlängelte sich der ganze Verkehr mühsam zur Saane hinunter, über die drei Brücken der Unterstadt und drüben wieder hoch. Die grosse Hängebrücke von 1834, damals die längste der Welt (und heute noch, so sie denn noch hinge, eine der elegantesten), die Galterenbrücke, später der Grandfeyviadukt der Bahn und die Perollesbrücke hoben den Verkehr eine Etage nach oben, banden die Stadt flüssiger ans Umland und an den Rest der Schweiz an. Den Preis zahlte wohl die Unterstadt, die über Jahrzehnte hinweg und bis weit ins 20. Jahrhundert ein vollgepacktes Elendsviertel war, um dann vom erwachenden bauhistorischen Bewusstsein beinahe trockengelegt zu werden, bis sie zum lebendigen Wohn- und Ausgehviertel unserer Zeit wurde. Die Symbolik des Füni, welches die Arbeiter aus der Unterstadt mittels der Abwässer der Elite aus der Oberstadt in die Fabriken transportierte, ist schon vielfach besprochen und herausgehoben worden.

Bei der Lektüre eröffnen sich dem lokalhistorisch Ungebildeten Zusammenhänge; so die Bedeutung der „République chrétienne“ des allmächtigen Georges Python, von dessen ideologisch unterfütterten Schöpfungen die Uni nur das prominenteste ist. Dem Stadtspaziergänger erschliesst sich Bekannt-Unbekanntes; so die Ablaufrinne entlang von Escaliers du Collège und Ruelle des Maçons, die seinerzeit als Kanal für das Löschwasser aus dem Collège-Weiher dienten, falls es in der Grand-Rue brannte. Und dem Architekturgwundrigen werden eine ganze Reihe von Monumenten ans Herz gelegt, die es baldigst genau zu begutachten gilt, von der (durchaus bekannten) Jugendstilsiedlung im Gambach über die massive Präsenz des Heimatstils quer durch die ganze Stadt bis zu den architektonisch einzig bemerkenswerten Wohnblöcken des Schönbergs (Henri-Dunant und Vieux-Chêne). Nach der Lektüre fühle ich mich noch besser angekommen in Freiburg. Und zwischendurch bietet es sich fürs Gemüt an, die beigelegte CD-ROM einzulegen und mit dem bimmelnden Tram durch das Freiburg der Belle Epoque zu fahren.


Technisches: Bourgeoisie de la ville de Fribourg (ed.): Fribourg, une ville aux XIXe et XXe siècles / Burgergemeinde der Stadt Freiburg (ed.): Freiburg, eine Stadt im 19. und 20. Jahrhundert. Freiburg, Editions la Sarine 2007. ISBN 978-2-88355-108-4

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