Freitag, 20. Juli 2007

Dream of consciousness

Wie bespricht man in diesem bescheidenen Blog eines der Meisterwerke der deutschen Literatur? Vielleicht so: Eichendorffs „Taugenichts“ erscheint als Konzentrat und Quintessenz der Romantik. Alles ist da: Mühle und Schloss, Volkslied, Geige und Gitarre, Maler und Musiker, Vaterlandsliebe und Italiensehnsucht, das schöne Edelfräulein und der arme Müllersohn. Alles ist innig und intensiv ausgeführt, aber aufs Rasanteste, wie ein Videoclip[1], montiert: Kaum unterwegs, trifft der Taugenichts schon auf der ersten Strasse seine Angebetete; kaum auf ihrem Wagen, sieht er sich schon eine Gärtner-, bald darauf eine Einnehmerstelle im Schloss angeboten; kaum der festen Stelle und des Liebeskummers überdrüssig, ist er schon wieder unterwegs Richtung Italien; und so geht das weiter bis am Schluss. Und wenn sich ein Übergang nicht ganz so nahtlos einstellt, taucht ohne viel Federlesens ein deus ex machina auf, der die losen Enden zusammenknüpft. In diesem tollen Ritt von der Donau nach Rom und zurück scheint sich unser Held in einer Parallelwelt zu bewegen, in der alles mit allem verknüpft, jeder mit jedem bekannt ist; und er selber stolpert, fällt hindurch, wird gestossen mehr als er sich wirklich selber bewegt, mehr Objekt als Subjekt seines eigenen Lebens, sobald er nur aufbricht und den Schritt aus der ihm nicht angemessenen kleinbürgerlichen Existenz in die Freiheit wagt. Eindeutig: Hier ist ein Traum beschrieben, eine fulminante Reise durch eine Welt, in der die Logik keinen Platz hat und Gefühle, Ängste und Wünsche die Hauptrolle spielen.

Eichendorff selber bietet in selbstreferentieller Ironie eine ähnliche Interpretation an, wenn er zum Schluss den Herrn Leonhard (der eigentlich ein Graf ist und die treibende Kraft hinter allen Irrungen und Wirrungen und glücklichen Zufällen – denn eine Erklärung und eine Logik dahinter gibt es durchaus!) zu unserem Taugenichts sagen lässt:

„Und nun müssen wir schnell in das Schloss, da wartet schon alles auf uns. Also zum Schluss, wie sich’s von selbst versteht und einem wohlerzognen Romane gebührt: Entdeckung, Reue, Versöhung, wir sind alle wieder lustig beisammen, und übermorgen ist Hochzeit!“

Eine romantische Novelle als Parodie eines Romans: Der gute Eichendorff muss dann und wann geschmunzelt haben, als er seinem Helden auf seiner tollen Fahrt zu folgen versuchte.


Technisches: Joseph von Eichendorff, Aus dem Leben eines Taugenichts. Novelle. Es existieren selbstverständlich die diversesten Ausgaben; unter anderem online und frei zugänglich auf Projekt Gutenberg und Wikisource. Als Fan der gelben Büchlein habe ich die gute alte Reclam-Version gelesen: Herausgegeben von Hartwig Schultz, Universal-Bibliothek 2354 (Stuttgart 1992 u.ö.).




[1]Tatsächlich existieren zwei Verfilmungen des Taugenichts (aus dem Vor-Videoclip-Zeitalter), die ich jedoch beide nicht gesehen habe: „Aus dem Leben eines Taugenichts“ (1973) und „Taugenichts“ (1978).

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