Mittwoch, 1. August 2007

Alles Gold, was glänzt?

Ich fotografiere in den Ferien nicht mehr so viel wie früher; vielleicht als roten Faden noch jeweils so einen Film pro Reise mit der alten Kompaktkamera. Den Rest der Zeit gebrauche ich meine Augen. Als Gedächtnisstütze und Fotoersatz empfiehlt sich dann jeweils am Touristenstand ein Führer, den ich hauptsächlich an Hand der Bildqualität auswähle.

So geschehen letzten Sommer in der Markuskirche in Venedig. Wer wollte in diesem überbordenden, einzigartigen Kirchenraum fotografieren? Wer könnte es? Stattdessen erwarb ich am Verkaufsstand in der Ecke der Vorhalle ein reich illustriertes Buch von 170 Seiten, das angesichts der ungewöhnlich hohen Qualität der oft ganz- und doppelseitigen Bilder mit seinem Preis von 17 Euro getrost als Schnäppchen bezeichnet werden kann. Und mehr noch: Darüber hinaus hat der Text einen wissenschaftlichen Anspruch. Unter der Leitung des Hauptarchitekten der Kirche liefert eine Schar illustrer Autoren eine klug zusammengestellte Sammlung von Aufsätzen, die nach aufmerksamer Lektüre verlangen – und nach angemessener Würdigung in diesem Forum. Und so wandle ich ein Jahr später virtuell nochmals durch San Marco, gleichsam blind oder wenigstens stark kurzsichtig (das Fehlen eines verständlichen Gesamtplanes macht sich schmerzlich bemerkbar), aber mit einem gelehrten Cicerone an der Hand, der mir die Geschichte des Doms aus der politischen, religiösen und künstlerischen Geschichte der Lagunenstadt herausschält. Was eigentlich gar nicht geht: Kirche und Stadt sind natürlich untrennbar miteinander verflochten. Die Ankunft des Leichnams des Evangelisten 828 bewirkte in reliquienbegeisterter Zeit einen gewaltigen Statusgewinn der Stadt; der neue Stadtpatron verlangte aber natürlich auch einen entsprechenden Kultort. Der in unseren Längengraden so ungewohnte byzantinische Stil der Kirche, der in Renovationen und Ergänzungen – nochmals ein Verfremdungseffekt – mit italienischer Renaissance durchsetzt ist, kommt nicht von ungefähr, diente doch die justinianische Apostelkirche in Konstantinopel als prominentes Vorbild. Das in den Mosaiken der Kuppeln, Bögen und Wänden verwirklichte Bildprogramm aus dem 12. Jahrhundert ist ein kühner, umfassender Rundumschlag durch die Heilsgeschichte mit distinkt venezianischem Gepräge und wird im opus sectile des Bodenbelags wieder aufgenommen.

Der Führer leitet kundig durch den Reichtum, stellt einige Details und Teilkunstwerke aus dem Überfluss ausführlich vor, ohne das Gesamtwerk aus den Augen zu verlieren. Und so könnte man von diesem Kleinod von Souvenir ein durchwegs positives Fazit ziehen, wenn es nicht am gleichen Ort kranken würde wie fast alle seiner Artgenossen: an der Übersetzung. Neben kleinen Tipp- und Druckfehlern und Inkonsistenzen fällt vor allem der etwas freihändige Umgang der Übersetzerin mit dem theologischen und kunsthistorischen Fachvokabular auf: Wofür gibt es einen deutschen Begriff? Was kann auf Italienisch oder Lateinisch belassen werden? So ist der römische Kaiser Settimio Severo (p. 75) bei uns als Septimius Severus bekannt und der Apostel Sila (p. 12) als Silas (Apg 15), die Psicostasía (p. 154) würden wir eher gräzisierend Psychostasie schreiben, währenddem die Legenda aurea auch auf Deutsch so heisst – und nicht etwa Goldlegende (p. 154)... Dies ist dann wohl die Kehrseite des Schnäppchens. Unverständlich ist der Text deswegen natürlich nicht, und die Bilder vermitteln auch dem von der etwas abenteuerlichen Terminologie Verwirrten den überwältigenden Genuss der Kathedrale von Venedig.


Technisches: Die Markuskirche in Venedig, herausgegeben von Ettore Vio. Übersetzung Gerda Geyer. Florenz, SCALA Group 1999. ISBN 88-8117-476-6. Erhältlich im Narthex von San Marco und sicher auch sonst überall in Venedig.

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