Sonntag, 5. August 2007

Leben und Tod

Die Klosterkirche Engelberg wird derzeit (zusammen mit dem angrenzenden Innenhof) innen und aussen umfassend renoviert. Im März wurde der Innenraum fertig gestellt und neu geweiht. Im Juli betrat ich die Kirche zum ersten Mal nach zwei Jahren wieder: Der Staub der Jahrzehnte ist weg, alles ist licht, helles Gelb und zartestes Rosa schmücken die Wände; und im neuen Licht kommt auch der farbige Tonplattenfussboden zu seiner angemessenen Geltung.

Nun ist die erste Renovation einer Kirche seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts in der Regel mehr als nur Putzen und Auffrischen. Sie ist Anlass zur Neugestaltung der liturgischen Orte, zum vollständigen architektonischen Nachvollzug des Zweiten Vatikanischen Konzils. Und so haben Abt und Konvent in den grossartigen barocken Raum mit sicherer Hand einen architektonischen und liturgischen Markstein des beginnenden 21. Jahrhunderts gesetzt.

Altar, Ambo und Taufstein sind klare, einfache geometrische Formen, Quader und Zylinder. Der Stein nimmt das Altrosa der Altarsäulen auf, der schwarze Stahl die Farbe der Chorraumstufen (Farbkonzept von Wendelin Odermatt); und so stellen sich die neuen Elemente bescheiden und auf den ersten Blick kaum wahrnehmbar in den jahrhundertealten Raum. Sie verleugnen ihre Zeitgebundenheit nicht (man ist versucht, Parallelen zur aktuellen Mehrfamilienhausarchitektur zu ziehen), drängen sie aber auch nicht auf: Sie spielen ihre Rolle im Kirchenraum, aber wissen, dass es nicht die einzige Hauptrolle ist. (Einige Fotos finden sich hier.)

Oberflächlich gesehen spielt sich das liturgische Leben zu einem grossen Teil im neu gestalteten Altarraum ab. Aber eine Kirche, zumal eine Klosterkirche, ist mehr als nur Altarraum. Sie ist ein Brennpunkt von Jahrhunderten Klostergeschichte und von vielfältigen religiösen Praktiken. Und so haben die Konzeptoren, Kurt Sigrist und P. Guido Muff, in der gleichen Formensprache zwei weitere Raumelemente gestaltet: die Beichtklausen beim Kircheneingang und eine neue Grabplatte für die Mönchsgruft. Anstelle der gewöhnlich wandschrank-ähnlichen, muffigen Beichtstühle laden nun in den ersten Seitenkapellen zwei geräumige Beichtzimmer zum Gespräch ein. Die Farbgebung schafft eine moderne Klammer um den Raum und weist zugleich darauf hin, dass die Beichte nur im Zusammenhang mit den anderen Sakramenten und religiösen Verrichtungen verstanden werden kann.

Das Herzstück der Neugestaltung scheint mir aber der Einbezug der Mönchsgruft in den Kirchenraum zu sein. Die Gruft hat mich immer fasziniert: In diesem langgestreckten Raum quer zur Kirchenachse, auf der Höhe der Chorraumstufen, liegen wie in einer Katakombe einer neben dem anderen die verstorbenen Engelberger Mönche. Eine simple Tafel mit Namen und Lebensdaten bezeichnet jede einzelne Grablege. Ein kleiner Gang führt nach vorne in ein neu konzipiertes Beinhaus, das genau unter dem Zelebrationsaltar liegt. So werden die Toten aus der Kirche durch die neue Öffnung in die Gruft gesenkt, und sie bleiben in der Kirche präsent durch die Grabplatte, die mit dem Altar und den anderen liturgischen Orten eine Einheit bildet. Was sich im Altarraum abspielt, ist nicht eine isolierte religiöse Praxis im Hier und Jetzt, sondern wird durch die Architektur eingebettet in seinen theologischen und historischen Zusammenhang. Schöner hätte der Gedanke, dass ein Kloster eine Gemeinschaft von Lebenden und Toten durch die Jahrhunderte ist, kaum ausgedrückt werden können.


[UPDATE: Die Links zur Kirche und zum Innenraum sind leider in den Orkus verschwunden und wurden entfernt.]

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