Dienstag, 7. August 2007

Die Herbstzeitlosen

Den erfolgreichsten Schweizer Film des letzten Jahres ausführlich vorzustellen, hiesse Wasser in die Emme tragen. Ich habe "Die Herbstzeitlosen" diese Woche im Open-Air-Kino (im Bollwerk in Fribourg) endlich noch erwischt, und dort passte er hin: ein richtiger Feel-Good-Film, der einen mit aufgeräumtem Herzen und seligem Lächeln entlässt. Erzählt wird die klassische Film-Story des Helden, der gegen innere und äussere Widerstände seinen grossen Traum realisiert. Der Held ist hier eine Heldin, die achtzigjährige Martha, und ihr fast vergessener Lebenstraum eine eigene Lingerie-Boutique [1]. Der Widerstand seinerseits wird verkörpert von mehr oder weniger ihrem ganzen Umfeld, der Bevölkerung von Trub im (wirklich wunderschönen) Emmental – besonders dem bis zur Kenntlichkeit verfremdeten lokalen SVP-Tribunen und dem eigenen Sohn, dem Dorfpfarrer. Bettina Oberli erzählt diese Geschichte stringent und liebevoll, wenn auch durchaus vorhersehbar; und mit der Musik hat sie mich ohnehin im Sack: Luk Zimmermann verwendet Volksliedmotive für einen zeitgenössisch-ländlichen Soundtrack.

Zwei Gedanken zur Ergänzung: Normalerweise finde ich bei Schweizer Filmen oder Fernsehserien die Dialoge sehr holprig. Ich weiss nicht, ob es daran liegt, dass ichs nur in meiner Muttersprache richtig beurteilen kann, aber in der Regel merke ich auf hundert Meter gegen den Wind, dass ich nicht den Leuten beim Leben zuschaue, sondern den Schauspielern beim auswendig Aufsagen. „Die Herbstzeitlosen“ ist mir in dieser Hinsicht sehr positiv aufgefallen. Bei einigen Ausdrücken war ich mir zwar nicht ganz sicher, ob eine achtzigjährige Emmentalerin sie wirklich brauchen würde; aber sonst hat der Dialogschreiber dem Volk durchgehend gut aufs Maul geschaut.

Und dann ein (böser) Verdacht: Funktioniert die Komödie vielleicht vor allem deshalb, weil sie einem eher jungen, urbanen Publikum erlaubt, über eher altes ländliches Personal zu lachen? Beim weiteren Nachdenken erinnere ich mich an die Schwulenwitze von Monty Python und frage mich, ob etwas noch diskriminierend sein kann, wenn es eindeutig überzeichnet ist. Denn das ist es doch offensichtlich: Auch im zugegeben sehr ländlichen Trub würden sich allenfalls vereinzelte Eiferer über eine Lingerie-Boutique aufregen. (Die realen Truber haben dem Vernehmen nach mit Begeisterung beim Film mitgemacht.) Spielt Bettina Oberli also vielleicht einfach mit unseren Klischees, indem sie sie verstärkt und so als Mittel für ihre Fabel verwendet? Auf jeden Fall verlaufen die Bruchlinien keineswegs dem Pensionsalter entlang – oder wenn, dann anders als gewohnt; denn so richtig ungeniessbar sind nur die Figuren im mittleren Alter (Bibelgruppe und Beizenhöckler), währenddem die Seniorinnen durchwegs Sympathieträgerinnen sind. Man kann sich über die Klischees oder ihre Umkehrung enervieren; aber so funktioniert eine Komödie. Es empfiehlt sich wohl, den Film als frischen, queren Beitrag zum Generationenkonflikt zu sehen – und sich von seinen eigenen Klischees nicht allzu sehr beeinflussen zu lassen...



[1] Das Wort „Lingerie-Boutique“ muss man sich in geniesserischem Berndeutsch vorstellen, um seine ganze erotische Potenz zu erschliessen.

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