Dieses Mal wollte ich mich von Cathy Marstons literarischem Ballett nicht wieder auf dem linken Fuss erwischen lassen; wollte nicht wieder erst am Tag der Aufführung auf Wikipedia oder im Programmheft hektisch die Grundzüge der literarischen Vorlage studieren, um dem Geschehen auf der Bühne einigermassen folgen zu können. Also bin ich rechtzeitig in die Buchhandlung gegangen, habe mir Wuthering Heights von Emily Brontë besorgt und mich in die Geschichte auf den windumtosten Höhen von Yorkshire vertieft. Ich gestehe: Ich hatte eine Liebesgeschichte erwartet. Tatsächlich ist die Sturmhöhe eine Leidenschaftsgeschichte, ein Beziehungsdrama, ein brutales und verlustreiches Aufeinanderprallen von Charakteren. Im Mittelpunkt dieses Orkans steht das Findelkind Heathcliff. Vom Moment an, da er vom mitleidigen Vater Earnshaw auf den Strassen von Liverpool aufgegriffen und auf sein Gut Wuthering Heights gebracht wird, ist es, als würde seine wilde Natur in allen um ihn herum die schlechte Seite ihrer Persönlichkeit ans Licht bringen: beim Adoptivbruder Hindley eine unkontrollierte Brutalität; bei Edgar Linton von benachbarten Thruscross Grange ein kultiviertes Dahinschwinden und bei seiner Schwester Isabella eine unterwürfige Faszination; beim Diener Joseph die Bigotterie – und bei Catherine Earnshaw, Heathcliffs Adoptivschwester und grossen Liebe, dieses verhängnisvolle Zuvielwollen, dieses verwöhnte Sich-nur-für-alles-zusammen-entscheiden-können, das Cathy Marston an der öffentlichen Kostprobe des Ballettabends speziell herausgehoben hat. Denn natürlich ist Wuthering Heights auch die Geschichte einer Liebe, einer sehr speziellen, wenig expliziten, nur hie und da mit einfachen, klaren Worten erläuterten Seelenverwandtschaft zwischen Heathcliff und Catherine, welche letztere ihrer Amme einmal so erklärt:
My love for Heathcliff resembles the eternal rocks beneath: a source of little visible delight, but necessary. Nelly, I am Heathcliff! He’s always, always in my mind: not as a pleasure, any more than I am always a pleasure to myself, but as my own being.
Doch diese Liebe scheitert daran, dass Catherine eben auch den ruhigen, belesenen, reichen Edgar Linton liebt, und dass sie meint, beide Seiten ihrer Liebe einvernehmlich leben zu können. Heathcliff flüchtet vor dieser Zumutung, und als er nach einigen Jahren zurückkehrt, tut er dies, um leidenschaftlich, masslos und erfolgreich Rache zu nehmen an beiden Familien; an allen, die er als Hindernisse zu seinem Glück empfinden musste. Das vorsichtige, zaghafte Glück, das zum Schluss zwischen den Kindern der Protagonisten, Cathy und Hareton, aufzublühen beginnt und das Heathcliff letztlich, sterbend, nicht mehr in sein Zerstörungswerk einbezieht, kann den Schrecken nur wenig mildern.
So war mir Wuthering Heights eine bedrückende, beklemmende Lektüre, nur oberflächlich etwas geglättet durch die schöne, gewählte Sprache. Zur Tiefe, Prägnanz und Spannung trägt Brontës Kunstgriff bei, die Geschichte von Heathcliff sowohl durch den Ich-Erzähler, seinen Untermieter auf Thruscross Grange, als auch durch die alte Magd Nelly erzählen zu lassen.
Für die Inszenierung konzentrierte sich Cathy Marston auf die Beziehungen der fünf Hauptpersonen im ersten Teil des Romans, also gleichsam auf dessen Skelett: Hindley und Catherine Earnshaw, Edgar und Isabella Linton sowie Heathcliff. Die Vielschichtigkeit der Beziehungen und die Zerrissenheit der Figuren akzentuiert sie mit einem einfachen, aber wirkungsvollen Kunstgriff: mit der Aufspaltung einzelner Figuren auf mehrere Tänzerinnen oder Tänzer. Das ist ganz am Anfang etwas verwirrlich; aber schnell erkennt man die Personen in ihrem Umgang miteinander: das unbeschwerte Spielen von Hindley und Catherine, die symbiotische Beziehung von Catherine und Heathcliff, das Liebeswerben von Edgar und Catherine, die Faszination zwischen Isabella und Heathcliff. Ab und zu sind einzelne Szenen des Romans getreulich nachgezeichnet; dann wieder ist das Geschehen auf der Bühne Ausdruck der Sehnsüchte und Enttäuschungen, der Liebe und des Hasses der Protagonisten. Die Wucht des drei-, vierfachen Parallelauftretens einer Figur verleiht den entsprechenden Szenen eine jähe Intensität.
Umgesetzt ist das Geflecht in einer ausgesprochen athletischen, akrobatischen, sehr körperlichen Tanzsprache: Sprünge, Werfen, Ziehen, Stossen – der Sturm im Titel des Abends weht sehr sichtbar über die Bühne. Die Musik stammt (wie schon bei den Gespenstern) als Auftragskomposition von Dave Maric und wird live gespielt vom Kontrabassisten Mich Gerber, unterstützt durch Elektronik und Samples. Sie kreiert die Schattierungen eines akustischen Sturms, hat mich aber (wieder) weniger begeistert als der Tanz. Diskret im Hintergrund bleibt das sehr sobre Bühnenbild, das nur aus einem geflochtenen Himmel, zwei Rampen, einigen Stühlen und einem Objekt besteht, das einen Felsen und anderes darstellt und in der ergreifenden Schlussszene, die das Ende des Romans aufnimmt, zu Catherines Grab wird.
Man merkt, dass Cathy Marston aus dem Vollen schöpft; dass sie diesem Werk, welches sie endlich auf die Bühne bringt, schon lange tief verbunden ist: Der Abend wirkt wie aus einem Guss, hat keine Längen, dafür wiederholt Stellen von atemberaubender Intensität. Die Konzentration auf fünf Hauptpersonen des komplizierten, zeitweise langfädigen Dramas legt seine Essenz offen: die Beziehungen zwischen diesen inhärent konfliktreichen Persönlichkeiten. Das Bern:Ballett, vor allem „Catherine“ Jenny Tattersall, überzeugt neben der künstlerischen auch durch die athletische Leistung. Leider haben sich nur vergleichsweise wenige Tanzfreunde im Stadttheater davon überzeugt. Ich hoffe, dass die verbleibenden Aufführungen besser besucht sein werden, damit die Kreativität von Cathy Marston in Bern nicht verschwendet wird.
Technisches: Weitere Aufführungen stehen Ende April sowie im Juni auf dem Programm. Fachlich fundiertere Kritiken findet die geneigte Leserin beim Bund (verhalten positiv), bei der BZ (begeistert) sowie auf tanzkritik.net (wohlwollend kritisch).
scheiße
AntwortenLöschen"Scheisse"... quel style! Quel commentaire! Si c'est tout ce dont vous êtes capable, on comprend que vous préfériez rester anonyme. Lorsque vous aurez la capacité d'écrire plus de deux mots qui se suivent peut-être pourrez-vous vous permettre de rédiger un commentaire sur un article dont la pertinence et la qualité stylistique sont irréprochables.
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