Sonntag, 5. April 2009

Blühende Kimjongilien

Wer meine Theaterberichterstattung mitverfolgt, wird gemerkt haben, dass ich keinen besonders avantgardistischen Geschmack habe: Ich gehe gerne in die grossen Häuser und sehe mir Klassiker an (wobei die – ich denke an griechische Tragödien – durchaus weiterhin avantgardistisch sein können). Entsprechend bin ich bei Besuchen in der freien Szene häufig leicht überfordert. So geschehen, als das Berner Schlachthaus kürzlich eine Annäherung an die Persönlichkeit des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Il zeigte: Der ewige Sohn. Ein fragmentarisches Stück, eine Collage aus offiziellen Verlautbarungen, Geschichtsbüchern, Reiseberichten und literarischen Texten; und die Collage setzte sich auch im Bühnenbild fort, einer Ansammlung von Stühlen, Fernseher, Hochsitz, Musikanlage, Lampen, Stromgitarre, Propagandapostern und anderen Objekten in der alten, wuchtigen Leere des Schlachthauses. Drei Figuren agieren und bringen temporär Ordnung in dieses Durcheinander. Eine zusammenhängende Geschichte, ein roter Faden sind kaum erkennbar – und das wäre auch erstaunlich, gibt es doch in der allentdeckten Welt der Gegenwart wenige Orte, die uns so mysteriös, befremdend und unbekannt sind wie Nordkorea und sein seltsamer Herrscher. Aus seltenen Reportagen und jenen Pressecommuniqués, die urkomisch wären, wäre die Situation nicht so bedrückend, fügt sich uns ein lückenhaftes Bild eines Landes zusammen; und der Schritt von diesem inszenierten, theaterhaften Land zu seiner Analyse mit den Mitteln der Bühne durch die Gruppe FAX AN MAX ist ein kleiner.

Vielleicht muss man, um das Stück zu verstehen, bei den Details ansetzen, bei einzelnen Einfällen und Szenen – so beim Vaterkomplex. Im Titel und in einigen kurzen Wortwechseln ist dieser Erklärungsversuch des Phänomens Kim Jong Il angedeutet. Wir „normale“ Söhne „normaler“ Väter können die Komplexität dieser Beziehung nur erahnen, wenn der Vater der personifizierte Held seines Volkes ist und der kleingewachsene, etwas linkische Sohn ihm nachfolgen muss. Umso eindrücklicher fand ich die auf den beiden überlebensgrossen, gemalten Porträts auffallende Ähnlichkeit von Vater und Sohn Kim. Oder ein anderer Ansatz: die Monarchie. Denn tatsächlich ist es ja eine absolute Monarchie, die im Arbeiterstaat Nordkorea herrscht. Entsprechend wird Kim im Stück als König angesprochen, und bezeichnend ist das Sprachbild, dass er sein Land, sein Volk nicht führt oder beherrscht, nein: Er ist das Land, er ist das Volk.

Mir gefällt die Idee von einem Stück wie Der ewige Sohn als Blick ins Atelier eines Steinmetzen. Einzelne Schläge führen in Richtung eines Gesamtbildes, Details werden sichtbar, Konturen zeichnen sich ab und fallen auf. Gefragt, was er sehe, könnte jeder guten Gewissens etwas anderes sagen; erfahrene Werkstattbesucher mit etwas mehr Überzeugung. Den Unerfahrenen lüften solche Stücke den Kopf aus und deuten an, was mit dem Vokabular des Theaters auch noch möglich wäre.


Und noch eine Ergänzung aus der Regie: Das hier ist der hundertste Post auf Phemios Aoidos. Dass er in eine sehr aktive Blog-Periode fällt, freut mich besonders. In diesem Stil und Rhythmus soll es weitergehen.

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