Samstag, 28. März 2009

Kanchivaram

Eine Inderin sollte mindestens zwei Mal in ihrem Leben in Seide gekleidet sein: bei der Hochzeit und beim Tod. Für die Seidenweber in Kanchivaram (heute Kanchipuram) und im übrigen Tamil Nadu im Süden Indiens, unter deren geschickten Händen die wunderbarsten seidenen Saris entstehen, ist dies allerdings nicht mehr als ein frommer Wunsch. Als Vengadam, der geschickteste unter ihnen, seiner neugeborenen Tochter, wie es die Tradition will, ein Versprechen ins Ohr flüstern soll, gelobt er ihr nichtsdestotrotz und für alle laut vernehmlich, dass er sie in einem seidenen Sari verheiraten wird.

Dieses Versprechen ist der rote Faden durch Kanchivaram, den Film von Priyadarshan, der am Filmfestival in Fribourg im Panorama Out of Bollywood gezeigt wurde. Ein typischer Bollywoodfilm ist er deswegen noch lange nicht. Gesungen wird wenig (und nur an passender Stelle), und ein Happy-End wäre für einen politischen Film, der im Tamil Nadu der Vierziger Jahre spielt, wohl ziemlich unrealistisch. Vengadam, ein gütiger Bär von einem Mann, weiss sich zwar zu helfen: Er hat über die Jahre unzählige Münzen zusammengespart, und bis die Tochter im heiratsfähigen Alter ist, kann er hoffen, auf den notwendigen Betrag zu kommen. Und sogar als er sich gezwungen sieht, den gesamten Sparbatzen seinem in wirtschaftlichen Nöten steckenden Schwager zu leihen, gibt er sein Ziel nicht auf, sondern verlegt sich darauf, die Seide Faden um Faden von der Arbeit wegzuschmuggeln – und langsam und heimlich wächst im Schopf der Sari. Doch mit der Ankunft eines kommunistischen Dichters verändert sich das Leben der Seidenweber: Nächtelang lernen und diskutieren sie, bald geben sie im Strassentheater ihrem Unmut über die Behandlung durch ihren Brotherrn Ausdruck. Und als der Dichter in einer amtlichen Kommunistenhatz ums Leben kommt, übernimmt Vengadam: Zunächst mit einer Petition, dann mit einem Streik verschaffen die Arbeiter unter seiner Führung ihren Forderungen Nachdruck. Nur kommt der Kampf um das gemeinschaftliche Glück demjenigen um das private, das Lebensziel Vengadams, den seidenen Sari, in die Quere; der Konflikt ist ein tragischer und führt ins Unglück.

Eine knappe, Roadmovie-ähnliche Rahmenhandlung setzt im strömenden Regen einen melancholischen Grundton. Dennoch ist die in ausführlichen, klug eingeleiteten Rückblenden erzählte Geschichte allen Rückschlägen zum Trotz optimistisch und hoffnungsvoll. Die Opfer des Arbeiterkampfes, so fasst der Epilog zusammen, waren nicht sinnlos. Die Kameraführung ist magistral und widmet den Details und Perspektiven volle Aufmerksamkeit. Kanchivaram ist nicht nur sauber beherrschtes Handwerk, sondern grosses Kino mit einer politischen Botschaft.

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