Von Carlo Lucarelli, dem erfolgreichen italienischen Krimiautor, las ich – passenderweise auf der Bahnfahrt durch die Emilia Romagna – die Kriminalnovelle Lupo Mannaro (Werwolf). Sie stellt einem etwas abgewrackten Ermittler einen scheinbar unantastbaren, psychotischen Killer gegenüber, und aus beider Perspektive setzt sich das Gefüge der Geschehnisse zusammen, die im Modena der frühen Neunziger Jahre spielen. Als Leser tastet man sich durch Blick- und Wissensfragmente hindurch; schauerlich die einen, desillusionierend die anderen. Das Spiel mit den Perspektivenwechseln und Ansichten auf die Wahrheit ist intrigierend; die Übergänge und Wendungen sind glaubhaft und überraschend; die Geschichte hätte das Zeug zu einer literarischen Studie – wenn sie nur nicht so klischeehaft wäre: Des Detektivs Ehe ist gescheitert, und er selber eigentlich auch; er leidet an unerklärlicher Schlaflosigkeit, stellt sich abends mit Valium ruhig, putscht sich morgens mit Plegine auf; er bürstet zwar seine Untergebenen sehr kurz ab, kann sich aber gegen oben kaum durchsetzen. Seine schöne junge Assistentin himmelt ihn an, und als er eines Sonntagnachmittags planlos bei ihr zuhause aufkreuzt, zieht sie ihn innert Kürze und reibungslos ins noch warme Bett, wo er trotz Müdigkeit voller Energie seinen Mann steht. Der „Werwolf“, der Serienkiller, ein feiner Herr, erfolgreicher Unternehmer, guter Familienvater, perfekter Verbrecher mit einer perversen Neigung, konfrontiert unseren Antihelden Auge in Auge mit seinem Versagen, indem er ihm regungslos all die Verbrechen gesteht, die jener doch nie wird aufklären können. Das sind doch gängige Versatzstücke eines Krimis – und alles zusammen ist mir nun wirklich zu dick aufgetragen. Der Klappentext informiert mich, dass diese ernüchternde Geschichte ein Sittenbild der frühen Neunziger darstellt. Wohl wahr, aber die Symbolik kommt dann doch ziemlich holzhammerhaft daher. Immerhin versöhnen die Auflösung und der lakonische Schluss wieder etwas mit den Übercharakterisierungen des Personals.
Technisches: Carlo Lucarelli, Lupo Mannaro. Einaudi Tascabili Stile Libero. Turin, Einaudi 2001. ISBN 978-88-06-15796-8. Das Buch wurde auch unter dem gleichen Titel verfilmt.
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