Freitag, 2. Mai 2008

Fauré ou „L’Esprit français“

Es war etwas Nostalgie dabei, als ich am Samstag Abend den steilen Weg zum Collège St-Michel in Fribourg hochging. In den späten Neunziger Jahren hatte ich selber vier Jahre lang im Coeur de l'Université et des Jeunesses Musicales gesungen, und nun besuchte ich seit Jahren wieder einmal sein Jahreskonzert. Unter Pascal Mayer sangen wir damals hauptsächlich die grossen Klassiker der Chorliteratur, von Mozarts Requiem bis Rossinis Stabat Mater, und zwar mit Mammutbesetzungen – gelegentlich (zusammen mit dem Chor von Sainte Croix) die geballte Wucht von zweihundert Sängerinnen und Sängern. Der Dirigent Jean-Claude Fasel, der den Chor im Jahr 2000 übernommen hat, beweist in seiner Programmgestaltung ein besonderes Interesse für weniger geläufige Musik. Und der Unichor 2008 umfasst noch 70 Kehlen. Beides – Repertoire und Grösse – tun dem Chor gut. Unter dem Titel Gabriel Fauré ou „L’Esprit français“ galt es dieses Jahr, die Messe des Pêcheurs de Villerville, den Cantique de Jean Racine und das Requiem dieses französischen Romantikers zu entdecken. Faurés Musik ist melodiös, passagenweise schwelgerisch und gleichzeitig völlig unprätentiös. Exemplarisch wurde dies gleich im ersten Werk deutlich, dieser „petite messe de vacances“, wie das Programmheft passend anmerkt, diesem Ferienwerk von Fauré und André Messager, das sie an der normannischen Küste, in Villerville, quasi frisch von der Leber weg für den örtlichen Fischereiverband schrieben und von einigen Frauen des Ortes aufführen liessen. Der Chor beeindruckte mit einem unglaublichen Dynamikumfang, mit Präzision und schön gestalteten Bögen in dieser von Jean-Claude Fasel eingerichteten Version für gemischten Chor und kleines Orchester.

Den Höhepunkt des Konzerts stellte für mich der Cantique de Jean Racine dar, ein kurzes, knappes Jugendwerk, die Vertonung einer Hymnenübersetzung von Racine; eines jener Werke, in denen kein Ton zu viel und keiner am falschen Platz ist, in denen sich alles zu vollendeter Schönheit fügt. Zum krönenden Abschluss folgte das Requiem op. 48 in der Version von 1893. Das Werk ist durchdrungen von jener aussergewöhnlichen Klarheit und Gelassenheit, die mir für viele Totenmessen charakteristisch scheint, als führe die musikalische Auseinandersetzung mit dem Tod zu einem tieferen Verständnis, welches Normalsterblichen abgeht. Zum Unichor und dem Orchestre de Chambre de Neuchâtel traten hier in kurzen Passagen die Sopranistin Anna Stolarczyk und der Bariton Fabrice Hayoz, beides sehr junge Stimmen, die nicht mit Kraft, sondern mit Innigkeit das ausdrückten, was der Komponist zu seinem Requiem gesagt hat:

„...quelqu'un l'a appelé une berceuse de la mort. Mais c'est ainsi que je sens la mort: comme une délivrance heureuse, une aspiration au bonheur d'au-delà, plutôt que comme un passage douloureux.“

Ich habe mich sehr gefreut, den guten alten Unichor in so beneidenswerter Form zu erleben. Um etwas Negatives zu schreiben, müsste ich die quälenden Kirchenbänke von St-Michel bemühen; das Konzert selber war ein seltener, vollständiger Genuss.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen