Vor 46 Jahren kam der erste James-Bond-Film in die Kinos, und immer noch bewirkt jede Regung, jedes Zucken der dienstältesten Hauptfigur des internationalen Films ein Echo ohnegleichen: Das nächste Bond-Girl, der nächste Bösewicht, der Bond-Darsteller selber, Drehorte, Pannen und Anekdoten werden von der Produktionsfirma gekonnt ausgebreitet und von einer Heerschar etablierter und weniger etablierter, ernsthafter und weniger ernsthafter Medien seziert und analysiert. Für Bond gilt das gleiche wie für den Fussball: Jeder ist ein Experte. Und mitunter gemahnt das repetitive „früher war alles besser“ an eine Altersheim-Cafeteria. Bin ich boshaft? Gewiss, Daniel Craig und sein Debütfilm Casino Royale hatten weit herum Bestnoten erzielt. Aber als kürzlich Quantum of Solace in die Kinos kam, ging durch die Presse oft das altbekannte Greinen: Das ist nicht mehr der Bond, den wir lieben – zu brutal, zu wenig ironisch, und vor allem nicht genügend glamourös.
Dazu ist verschiedenes zu sagen, zum Beispiel, dass Quantum of Solace 21 Vorgänger hat und dass nur schon aus Gründen der Wahrscheinlichkeit einer oder zwei davon wohl besser sein werden als der aktuelle. Jede Generation, so der durchaus zutreffende Gemeinplatz, hat ihren Bond; politische und gesellschaftliche Realitäten, technische Entwicklungen, andere Filme waren immer eine wichtige Inspiration; ihre Entstehungszeit und den entsprechenden Geschmack kann keine der Episoden verleugnen. Mehr als einmal hat sich die Entwicklung der Figur zwischenzeitlich in Klischees totgelaufen. Am wichtigsten jedoch ist, dass mit Casino Royale eine neue Zeitlinie begann; dass wir jetzt lernen, wie Bond zu dem etwas klischierten Playboy wurde, den wir kennen und lieben. Dieser elegante, ironisch-blasierte Alleskönner war einmal ein junger Agent, frisch von der Ausbildung, bereits schlagkräftig, taktisch geschult und ein Muskelpaket ohnegleichen, gewiss, aber auch etwas unbeherrscht, im Umgang ungehobelt und auf dem gesellschaftlichen Parkett noch wenig stilsicher. Im Moment können wir ihm dabei zuschauen, wie er sich die Erfahrungen und Narben holt, die ihn zu dem machen werden, den wir schon kennen – und wir entdecken statt der sonst leicht eindimensionalen Figur auf einmal eine facettenreiche Persönlichkeit.
Quantum of Solace beginnt mit irrwitzigen, rasend schnellen Schnitten, in der Autoverfolgungsjagd am Gardasee im Prolog und im Zweikampf durch die Gewölbe und über die Dächer von Siena. Tempo, Intensität, Hektik und Verwirrung setzen das Thema des Films: die Not des Erkennens (um es mit einem Begriff aus dem Literaturunterricht auszudrücken). In dieser unübersichtlichen und unentwirrbaren Geschichte ist wenig bekannt, nichts gewiss – und wem soll man da vertrauen? Das beginnt mit der erschütternden Einsicht von M, dass der Gegner, den sie eben am Rockzipfel erhascht zu haben meint, sich seit Jahren in ihrem innersten Kreis bewegte; und das zieht sich durch die ganze Handlung, die durch kleine, zufällige Details mühsam vorwärts gebracht wird. Bald wird Bond nicht nur von Quantum gejagt, diesem mysteriösen Verbrechersyndikat, sondern auch von der CIA, und überdies von seiner eigenen Vorgesetzten abgesägt. Die Not des Erkennens gipfelt in jener intensiven Szene, in der nicht nur Bonds letzter Strohhalm zum Erfolg, sondern sein nacktes Leben davon abhängt, dass sein CIA-Kollege Felix Leiter, hin- und hergerissen zwischen Auftrag und Freundschaft, den Freund letztlich nicht hängen lässt. Wenig verwunderlich, dass am Schluss Einsatz und Rache gelingen, aber viele Fragen offen bleiben.
Dieser zeitgemässe Bond kommt ohne überdreht-psychopathische Bösewichte in futuristischen Settings, ohne Gadgets und ohne finale Massenschiessereien aus. Stattdessen dominieren Szenen von Verlust, Versagen, Trauer – und ein durchaus realistischer, unauffälliger, aber deswegen nicht weniger gnadenloser Krimineller. Die lange Szene auf der imposanten Seebühne von Bregenz und die weiten Einstellungen in der bolivianischen Wüste unterstreichen dabei (neben Marc Forsters künstlerischen Anspruch) das Gefühl des Ausgeliefertseins, des Nichtwissens. Erinnerungen drängen sich auf an andere, ähnlich minimalistische und intensive Filme der Serie, die von persönlicher Betroffenheit und Rache Bonds geprägt sind: On Her Majesty’s Secret Service und vor allem Licence to Kill. In seinen nächsten Auftritten wird der junge Agent zweifellos an Eleganz, Ironie und weltmännischem Gehabe gewinnen; angedeutet ist dies schon in einigen wenigen Szenen, beispielsweise in der Hotelsuche mit Strawberry Fields in Bolivien. Vorerst aber ist er ein Getriebener, Bedrückter, Verletzter auf der Suche nach seiner Rolle. Darin liegt das Beeindruckende und Packende von Quantum of Solace.
Technisches: Quantum of Solace läuft noch mehr oder weniger überall in Kinos Ihres Vertrauens. Wer den Film dort verpasst, wird ihn in wenigen Jahren auf allen möglichen Kanälen wieder und wieder antreffen. Und wer meine Besprechung zu ehrfürchtig findet, dem wird vielleicht die satirische Version des Drehbuchs von Diego Doval besser gefallen.
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