Samstag, 20. November 2010

Unter den Mauern Bolognas

Commissario Brunetti aus Venedig oder vielleicht auch Maresciallo Guarnaccia aus Florenz sind hierzulande bekannt; Sarti Antonio aus Bologna hingegen kaum. Das ist schade, denn Kommissar Sarti ist ein aufrechter Mensch ohne theatralische Macken, der seine Stadt bestens kennt und liebt, ohne sich deswegen irgendwelche Illusionen zu machen. Passend zur Feriendestination griff ich für die lange Zugfahrt zu einem der wenigen von Loriano Macchiavellis Sarti-Krimis, die auf Deutsch vorliegen: Unter den Mauern Bolognas. Macchiavelli, soviel wird bald klar, begnügt sich nicht damit, eine Geschichte zu erzählen. Er lässt seinen ausnehmend gesprächigen Erzähler nämlich nach Herzenslust mit dem Leser fachsimpeln und sogar seiner Hauptperson gelegentlich die eine oder andere Idee einflüstern. Das ist etwas prätentiös, gewiss, aber es vermittelt dem Buch jenen gesellschaftlichen und politischen Unterbau, ohne den ein Krimi nur eine simple Detektivgeschichte wäre.

Ein mysteriöser Toter, der an der Battiferro-Schleuse nördlich der Stadt angespült wird, und eine Razzia der Stadtpolizei gegen die illegalen afrikanischen Ramschverkäufer unter den Arkaden, bei der auf den zweiten Blick etwas nicht ganz stimmt, sind die beiden Ausgangspunkte der Geschichte. Dass und wie sie miteinander zu tun haben, ermittelt Sarti auf mühsame und oft unangenehme Weise: Er muss nämlich mehrfach in dunkelster Nacht in das rudimentäre, aber effiziente Netz von Flüssen und Kanälen hinuntersteigen, welches Bologna durchzieht, mittlerweile aber fast durchgehend überdeckt und mehr oder weniger vergessen ist[1]. Mit der Zeit stellt sich heraus, dass die gesuchten Verbrecher auch noch für ungezählte andere Untaten verantwortlich sind, dass sie sich nicht scheuen, Menschen aus dem Fenster zu stossen und Züge in die Luft zu jagen, sowie dass sie über jeden Schritt Sartis offensichtlich informiert sind, allerdings glücklicherweise meist daneben schiessen. Etwas dick aufgetragen? Etwas sehr dick, finde ich – auch weil Macchiavelli seinen deus ex machina, Sartis Freund, den Schlaumeier Rosas, mehrfach ins Spiel bringen muss, um die Handlung vorwärtszubringen.

Eine wichtige Funktion aber erfüllen die unglaublichen Zusammenhänge: Sie vergrössern das Unbehagen, das den gesamten Krimi durchzieht. Des Erzählers (und seines Kommissars) Liebe zu Bologna ist gross, doch es ist eine desillusionierte Hassliebe zu einer Stadt, die sich als grossartig hinstellt, aber ihre Menschlichkeit längst verloren hat. Dazu passt, dass am Schluss die ausführliche Auflösung fehlt. Freilich, gewisse Leute landen hinter Gittern. Doch wer (wie ich) erwartet hatte, dass die verstreuten Andeutungen und halb ausformulierten Folgerungen nochmals aufgenommen und zusammengefügt werden, wird enttäuscht. Sarti ist ja auch vollauf mit anderem beschäftigt, nämlich mit seiner Francesca! Also hilft nur zurückzublättern und selber zu versuchen, die losen Fäden einigermassen zu verknüpfen.


Technisches: Loriano Macchiavelli, Unter den Mauern von Bologna. Kriminalroman. Aus dem Italienischen von Sylvia Höfer. München, Serie Piper 2005. ISBN 978-3-492-24543-2. Das Original ist 2002 unter dem Titel „I sotterranei di Bologna“ bei Mondadori in Mailand erschienen (ISBN 978-88-04-5142-9).


[1] Nur im Norden der Altstadt, zwischen Via Oberdan und Via Piella, scheint zwischen zwei Häuserzeilen so etwas wie eine Venedig-Szene auf – falls der Kanal denn Wasser führt…

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