Sonntag, 6. Januar 2013

Der Triumph der Tugend

Gibt es eigentlich weltweit irgendjemanden, der wegen der Handlung in die Oper geht? Der die geistreichen Dialoge schätzt, den kunstvoll konstruierten Plot? Er müsste sich das Objekt seiner Bewunderung jedenfalls mit einigem Bedacht auswählen. Eine Opera buffa (beziehungsweise semiseria) wie Rossinis Cenerentola zum Beispiel kann zumindest ich beim besten Willen nicht ernst nehmen – trotz des hochtrabenden Untertitels Der Triumph der Tugend und entgegen jenen Interpretationen, die darin von der Aufklärung geprägte, komplexe Figuren ausmachen. Beruhigend, dass ich nicht der einzige zu sein scheine: Cordula Däuper inszeniert das Aschenbrödel am Stadttheater Bern mit überbordender Ironie als einen einzigen grossen Klamauk – und muss ihm dazu nicht einmal gross Gewalt antun. Es reicht, die von Rossini und seinem Librettisten Ferretti entworfenen Figuren etwas zu überzeichnen, den Säufer von Vater so richtig besoffen sein zu lassen, der einen Schwester eine Riesenmasche in die Haare, der anderen einen elefantenbreiten Reifrock um die Hüften zu montieren, die Verwechslungskomödie zwischen Prinz und Diener mit steiler Frisur und spitzer Krone etwas zu akzentuieren: Schon ist der frohe Spass angerichtet. Überaus köstlich war die Ausstattung des Chors der Höflinge als schmerbäuchige Wichtel. Und den Vogel schoss die Regisseurin ab mit den Übertiteln. Erst seitdem diese technologische Innovation etabliert ist, wird ja dem gemeinen Theaterbesucher die Flachheit der Arientexte überhaupt so richtig anschaulich. Und was tut Däuper? Sie holt die Übertitel gleichsam vom Katzentisch auf die Bühne, projiziert sie auf eine barock geschwungene Kartusche – und fasst längere Dialoge oder wiederkehrende Text kurzerhand auf knappe, handschriftlich notierte Kommentare zusammen. „Immer das gleiche Gezicke“, steht dann da etwa, oder „er hat Hunger“. Klarer, aber auch verschmitzter kann man kaum ausdrücken, dass die ganzen hier gesungenen Texte nur mit ironischer Distanz zu ertragen sind.

Man verstehe mich nicht falsch: Ich insinuiere in keiner Weise, dass sich das Berner Opernteam über Rossini lustig gemacht hätte. Vielmehr muss, wer solch gelungenen Klamauk abliefern will, nicht nur sein Handwerk perfekt beherrschen, sondern seinen Gegenstand sehr ernst nehmen. Das gilt nicht nur, wie bereits beschrieben, für Regie, Ausstattung und Dramaturgie, sondern in höchstem Masse auch für das von Srboljub Dinic geleitete Berner Sinfonieorchester und die Sängerinnen und Sänger. Ich war überrascht, wie leicht und durchsichtig, passagenweise fast kammermusikalisch, Rossinis Musik interpretiert wurde. Der Gesang blieb auch in den Fortissimo-Passagen schlank und fein, frei von Stemmen, Pressen und Starallüren; und die Chorwichtel überzeugten mit sattem, wohldosiertem Klang. (Die einzigen Abstriche waren höherer Gewalt geschuldet, nämlich der Erkrankung zweier Solisten, die sich absolut bewundernswert schlugen, aber die fehlende Spritzigkeit nicht immer vergessen machen konnten.) Für nur sporadische Opernbesucher wie uns ist La Cenerentola die richtige Wahl: Ein unbeschwerter, lüpfiger und durchwegs zu geniessender Abend im grossen Haus am Theaterplatz.

Technisches: Das Aschenbrödel wird am Stadttheater bis Anfang März noch fünfmal aufgeführt; Karten gibt’s wie immer on- und offline bei Bern:Billett.

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