Gibt es eigentlich weltweit irgendjemanden, der wegen der
Handlung in die Oper geht? Der die geistreichen Dialoge schätzt, den kunstvoll
konstruierten Plot? Er müsste sich das Objekt seiner Bewunderung jedenfalls mit
einigem Bedacht auswählen. Eine Opera
buffa (beziehungsweise semiseria)
wie Rossinis Cenerentola zum Beispiel
kann zumindest ich beim besten Willen nicht ernst nehmen – trotz des
hochtrabenden Untertitels Der Triumph der
Tugend und entgegen jenen Interpretationen, die darin von der Aufklärung
geprägte, komplexe Figuren ausmachen. Beruhigend, dass ich nicht der einzige zu
sein scheine: Cordula Däuper inszeniert das Aschenbrödel am Stadttheater Bern
mit überbordender Ironie als einen einzigen grossen Klamauk – und muss ihm dazu
nicht einmal gross Gewalt antun. Es reicht, die von Rossini und seinem
Librettisten Ferretti entworfenen Figuren etwas zu überzeichnen, den Säufer von
Vater so richtig besoffen sein zu lassen, der einen Schwester eine Riesenmasche
in die Haare, der anderen einen elefantenbreiten Reifrock um die Hüften zu
montieren, die Verwechslungskomödie zwischen Prinz und Diener mit steiler
Frisur und spitzer Krone etwas zu akzentuieren: Schon ist der frohe Spass
angerichtet. Überaus köstlich war die Ausstattung des Chors der Höflinge als
schmerbäuchige Wichtel. Und den Vogel schoss die Regisseurin ab mit den Übertiteln.
Erst seitdem diese technologische Innovation etabliert ist, wird ja dem
gemeinen Theaterbesucher die Flachheit der Arientexte überhaupt so richtig
anschaulich. Und was tut Däuper? Sie holt die Übertitel gleichsam vom
Katzentisch auf die Bühne, projiziert sie auf eine barock geschwungene
Kartusche – und fasst längere Dialoge oder wiederkehrende Text kurzerhand auf
knappe, handschriftlich notierte Kommentare zusammen. „Immer das gleiche
Gezicke“, steht dann da etwa, oder „er hat Hunger“. Klarer, aber auch verschmitzter
kann man kaum ausdrücken, dass die ganzen hier gesungenen Texte nur mit
ironischer Distanz zu ertragen sind.
Man verstehe mich nicht falsch: Ich insinuiere in keiner
Weise, dass sich das Berner Opernteam über Rossini lustig gemacht hätte. Vielmehr
muss, wer solch gelungenen Klamauk abliefern will, nicht nur sein Handwerk
perfekt beherrschen, sondern seinen Gegenstand sehr ernst nehmen. Das gilt
nicht nur, wie bereits beschrieben, für Regie, Ausstattung und Dramaturgie,
sondern in höchstem Masse auch für das von Srboljub Dinic geleitete Berner
Sinfonieorchester und die Sängerinnen und Sänger. Ich war überrascht, wie
leicht und durchsichtig, passagenweise fast kammermusikalisch, Rossinis Musik interpretiert
wurde. Der Gesang blieb auch in den Fortissimo-Passagen schlank und fein, frei
von Stemmen, Pressen und Starallüren; und die Chorwichtel überzeugten mit
sattem, wohldosiertem Klang. (Die einzigen Abstriche waren höherer Gewalt
geschuldet, nämlich der Erkrankung zweier Solisten, die sich absolut bewundernswert
schlugen, aber die fehlende Spritzigkeit nicht immer vergessen machen konnten.)
Für nur sporadische Opernbesucher wie uns ist La Cenerentola die richtige Wahl: Ein unbeschwerter, lüpfiger und
durchwegs zu geniessender Abend im grossen Haus am Theaterplatz.
Technisches: Das
Aschenbrödel wird am Stadttheater bis Anfang März noch fünfmal aufgeführt;
Karten gibt’s wie immer on- und offline bei Bern:Billett.
Sonntag, 6. Januar 2013
Der Triumph der Tugend
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