Samstag, 6. Oktober 2007

Persien, animiert

Hier in Freiburg leben wir ja, kinematografisch gesehen, in einem anderen Land als der Deutschschweiz: Deutsche Filme (und auch einige amerikanische) sehen wir in der Regel mit etlicher Verspätung, dafür kommen französische Filme bei uns viel früher in die Säle als ennet der Saane (wenn überhaupt). Wenn also für diese und nächste Woche in verschiedenen Deutschschweizer Städten exklusive Vorpremieren von Persepolis angekündigt sind, zucke ich nur müde mit den Achseln. Den autobiografischen Animationsfilm von Marjane Satrapi habe ich bereits vor zwei Wochen gesehen. Leider habe ich diesen Vorsprung wieder verspielt und meinen Blogpost noch nicht geschrieben. Das liegt wohl daran, dass es eine Herausforderung ist, über diesen Film zu schreiben. Man müsste ja dazu eigentlich nicht nur in der neueren (und wenn möglich älteren) iranischen Geschichte einigermassen sattelfest sein, sondern auch in derjenigen des Animationsfilms und der Graphic Novel – und idealerweise hätte man das Buch Persepolis auch bereits gelesen. Da verliert ein armer Dilettant schon mal den Mut. Und das ist schade, denn ich bin mit einem Hochgefühl aus dem Kino gekommen; mit dem Gefühl, einen ganz besonderen Film gesehen zu haben. Wie aber erklären, warum dieser Film so besonders war?

Vielleicht muss ich bei der Form ansetzen. Besonders gefesselt hat mich nämlich, dass Persepolis ein Animationsfilm ist, der sein eigenes Potential ausschöpft. Nicht im Sinn der immer mehr auf die Spitze getriebenen computeranimierten Realistik anderer Filme; nein, dieser hier verleugnet seine Herkunft aus der Zeichnung nicht. Eine einfache, markante Strichführung, schwarz-weiss wie in der Vorlage, lässt Bilder entstehen, zu Mustern gerinnen, ineinander überfliessen. Nicht einfach künstlich generierte Wirklichkeit, sondern eine andere Wirklichkeit breitet sich auf der Leinwand aus. Und in diesem poetischen Zwischenreich zwischen Märchen, Epos und Tragödie wird mit leichter Hand eine traurige Geschichte erzählt.

Ich habe hier kürzlich eine absurde Fussnote der Zeitgeschichte erwähnt, die griechische Militärdiktatur. Es geht offenbar noch absurder – und noch brutaler: Der Iran, ein Land mit unvergleichlicher, uralter Geschichte und Kultur, navigierte im 20. Jahrhundert gleichsam zwischen Scylla und Charybdis, zwischen der westlich orientierten Diktatur des Schahs und dem islamischen Totalitarismus der Mullahs; und anders als Odysseus vermochte er weder dem einen noch dem anderen auszuweichen. Soweit die aus Funk und Fernsehen bekannte Geschichte. Dass dieses Geschehen der rigide Rahmen für das Leben von Millionen von Menschen ist, geht (wie immer in der grossen Politik und Geschichte) gerne vergessen. Marjane Satrapi war zu Zeiten des Schahs und der Revolution ein Kind; und ihre Geschichte ist ihre ganz persönliche Navigation durch diese Unzeiten. Ihre Familie, aus persischem Adel stammend, ist dem Schah-Regime gegenüber kritisch eingestellt und im Widerstand aktiv; Folter, Gefängnis und Tod sind frühe Realitäten im Leben der kleinen Marjane. Die Revolution bringt nicht den ersehnten Wandel zum Besseren, sondern eine Pervertierung. Das Leben wird zum ständigen Lavieren zwischen den eigenen Ansprüchen auf Freiheit, den absurden Vorschriften der neuen Machthaber und dem alltäglichen Schrecken des Krieges. Marjane soll aus dieser ausweglosen Situation gerettet werden, wird ins französische Gymnasium nach Wien geschickt, leidet dort unter der fremden Umwelt und arrangiert sich mit ihr, schafft aber den geistigen Spagat zwischen ihrem sicheren und etwas belanglosen Leben im Exil und der Lebensgefahr ihrer Familie im Teheran des Krieges nicht; sie kehrt zurück, studiert im Iran, heiratet – aber es nützt alles nicht, und der Film endet mit dem zweiten Exil, das bis heute andauert, mit der Ausreise nach Frankreich. Sie hat ihre Eltern seither nicht wieder gesehen.

Das alles ist tieftraurig – und zugleich leichtfüssig erzählt und von schneidender Tragikomik durchsetzt. Als Klein-Marjane, mit Punk-Jacke, Turnschuhen und Schleier, vom Schwarzmarkt zurückkehrt, wo sie eine Kim-Wilde-Kassette gekauft hat, wird sie von zwei Sittenwächterinnen angehalten. Drachengleich winden sich ihre Gestalten ins Bild: Warum sie mit Turnschuhen herumlaufe? Wieso sie einen Michael-Jackson-Button trage? Mitkommen solle sie! Nicht aufs Maul gefallen fabuliert die Kleine zurück: Die Turnschuhe? Aber ich bin in der Basketmannschaft der Schule! Der Button? Nicht Michael Jackson ist das, sondern Malcolm X, der muslimische Widerstandskämpfer! Mitkommen? Bitte nicht, meine böse Stiefmutter bringt mich sonst um! Das Unheil ist abgewendet, das Publikum atmet auf, schmunzelt, aber der Kloss im Rachen bleibt. Und so ist dieser Film ein aufrüttelnder Film. Indem er die Absurdität des Krieges und Totalitarismus mit den Augen eines Kindes betrachtet, entstellt er sie bis zur Kenntlichkeit.


Link: Zur weiteren Lektüre empfohlen wird der Artikel von Daniel Binswanger über Marjane Satrapi im Magazin.

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