Mittwoch, 12. September 2007

Der Gesang der Generäle

In unseren heutigen Augen erscheint die griechische Militärdiktatur hauptsächlich absurd: Diese armseligen Obristen, kleine Gestalten mit lächerlichen Schnäuzen, konnten sich vor gerade mal vierzig Jahren in Griechenland an die Macht putschen und sieben Jahre lang ein knöchern konservatives und ultranationalistisches Regime etablieren? Surreal. Tödlich real waren allerdings die Verbannungen und Folterungen. Vom Erleben und Überleben von Folter und von der Hilflosigkeit der Freunde der Opfer erzählt eine Graphic Novel von Andreas Gefe zu einem Szenario von José-Louis Bocquet, Der Gesang der Generäle.

In blaugrauen und rostroten Bildern tasten wir uns Schicht um Schicht an den Kern der Geschichte heran. Zusammen mit einem forschenden Studenten lernen wir den in Paris lebenden griechischen Regisseur Vassili kennen. Wir erfahren, wie sein Besuch in Frankreich 1967 über Nacht zum Exil wurde. Wir lesen von seinem Filmprojekt über die Folteropfer der Junta, das zunächst begeistert gefördert wurde, danach aber aus banalen, zufälligen Gründen scheiterte. Endlich gelangen wir zur Hauptfigur, die alle Stränge und Zeitebenen der Geschichte zusammenhält, zu Lena; wir hören, wie sie mit dem Widerstand in Kontakt geriet, wie sie, die nur das Geheimnis eines Liebesbriefes bewahren wollte, festgenommen und gefoltert wurde, wie sie überlebt hat und weiter überlebt – aber wir kommen nicht wirklich an sie heran. Wir sehen sie kaum. Wir begreifen nicht. Bocquet und Gefe weigern sich – so verstehe ich sie –, die quälenden Fragen zu beantworten, die Rätsel aufzulösen; sie weigern sich, die Folter und das Überleben der Folter in irgendwelche sauberen Bilder zu giessen. Nur Andeutungen gestatten sie sich: Als der Filmemacher dem Studenten Lenas Geschichte erzählt, verzerren sich die Grotesken in der Tapete hinter ihm zu Fratzen und entstellten Gesichtern.

Die Story wirkt ein bisschen verquer, konstruiert: „All das wegen eines Gedichts!“, wundert sich der Student. Und Vassili wirkt etwas pathetisch, wenn er darauf mit vernichtendem Blick antwortet: „Ein Gedicht, das ist die Menschlichkeit an sich! Es gibt nichts Edleres, wofür sich zu leiden lohnte.“ Doch wenn auf den letzten Seiten das Blaugrau zu einem klar-blauen Hintergrund und das Rostrot zu Vassilis tiefrotem Hemd wird, kommt eine Klarheit und Durchsichtigkeit in die Bilder. Vassili hat Lena nicht helfen können und hat trotzdem getan, was zu tun war. Hat er zum Schluss seinen Frieden gefunden? Soweit möglich vielleicht schon.


Technisches: Andreas Gefe, José-Louis Bocquet: Der Gesang der Generäle. Zürich, Edition Moderne 2006. ISBN 978-3-03731-001-4.

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