Montag, 17. September 2007

Glaubenssache

Der Glaube ist, so die unausgesprochene Prämisse der Ausstellung „Glaubenssache“ des Stapferhauses Lenzburg, etwas radikal Subjektives. Der Besucher kann sich dem nicht entziehen: Schon bevor er die Ausstellung betritt, muss er sich als gläubig oder ungläubig outen; und an drei Serien von Computerterminals, angeordnet wie die Entwerter in der Metro, verdient er sich gleichsam den Eintritt in den nächsten Teil, indem er Fragen zu seinem Glauben beantwortet, deren Auswertung am Ende sein Glaubensprofil enthüllt. Ich beobachte einige der Besucher, wie sie ihren USB-Stick ins Terminal stecken: Sie kleben praktisch davor, decken es durch ihren Körper ab wie einen Bancomaten – und ich verstehe sie: Glaubensfragen sind sehr persönliche, intime Fragen, auf die man nicht so unbefangen öffentlich Antwort gibt. Umso eindrücklicher ist es, dass der Hauptteil der Ausstellung von neun Personen bestritten wird, die uns einen tiefen, ungeschminkten Einblick gewähren in ihren Glauben und ihre Glaubenspraxis: Sie beschreiben ihr Gottesbild; sie erzählen, wie und wann sie beten; sie lassen uns teilhaben an Ritualen ihres Alltags; und sie nehmen uns mit zu ihrem Gottesdienst. Eine Katholikin ist darunter, mehrere Konfessionslose, ein Freikirchler, der jüdische, islamische, hinduistische Glaube sind vertreten; die Glaubensvielfalt der heutigen Schweiz wird abgebildet. Diese Momentaufnahmen werden gleichsam in die Breite gezogen durch eine luftige Wand: Einige Dutzend Objekte hängen da an langen Fäden von der Hallendecke herunter. Sie stehen für ebenso viele Menschen, die sie für die Dauer der Ausstellung zur Verfügung gestellt haben, stehen in Verbindung mit ihrem Glauben. Die kurzen Erklärungen am Fussboden zeugen unter anderem vom immensen Wert, den diese Objekte dank ihrer Aufladung mit Glauben haben: Ein Kind hat seinen Schutzengel nur widerwillig in die Ausstellung gegeben; eine Sportlerin weiss, dass der nächste Wettkampf hart werden wird, weil ihr Talisman jetzt in Lenzburg hängt; ein jüdischer Mann hat die Gebetsriemen seines verstorbenen Bruders gebracht, weil er die seinen täglich braucht.

Ein Glaubensmosaik aus Film, Ton, Objekten und eigenen Gedanken setzt sich so im Erdgeschoss der Ausstellung zusammen. Das Obergeschoss thematisiert dann, was passiert, wenn diese einzelnen, zum Teil sehr individuellen oder individualistischen Glaubensüberzeugungen zu Religionsäusserungen gerinnen und aufeinander treffen: clash of religions auf schweizerisch gewissermassen. Die Themen liegen nicht fern; drei davon wurden ausgewählt, um in Zeugnissen von Direktbetroffenen beleuchtet zu werden: Sollen in einem christlich geprägten Land wie der Schweiz Minarette gebaut werden dürfen? Sollen in unserer religiös massiv durchmischten Gesellschaft Weihnachtslieder und Krippenspiele weiterhin einen Platz in der Schule haben? Ist es legitim, mit religiösen Symbolen zu werben, konkret mit einer indischen Gottheit auf einem Migrossack? Dass sich im Neben- und Miteinander der Religionen das Profil eines Landes schärft, wird zum Schluss (etwas zu) spielerisch in drei Szenarien für die religiöse Zukunft der Schweiz übersetzt: Was wäre, wenn die Schweiz weniger religiös würde? Polyreligiöser? Christlicher?


Dank der Verlängerung habe auch ich es noch geschafft, mir die Ausstellung anzuschauen. Anderthalb Stunden waren allerdings nicht genügend Zeit für sämtliche Audio- und Videostationen; ich musste mich notgedrungen beschränken. Besonders berührt haben mich neben den Glaubensobjekten die religionslosen Rituale: zu sehen, wie die strukturierende, Halt gebende Funktion von Ritualen vom ursprünglichen religiösen Träger abgelöst und in eine neue Form gegossen werden kann; wie Eltern, die den Glauben ihrer Kindheit nicht mehr haben, die Kraft ritueller Handlungen neu interpretieren. Die Ausstellung zeigt eindringlich, dass jenseits der grossen Worte und der Politiken der Glaube von jedem und jeder in eine persönliche Form gegossen wird. Sie zeigt, dass die Trennlinien unscharf sind, dass die Kategorien verschwimmen. Augenzwinkernd unterstreicht sie dies, indem sie den USB-Stick, auf dem ich mein Glaubensprofil gesammelt habe, am Schluss mit dem Hinweis zurückverlangt, dass die Aufschrift „gläubig“ oder „ungläubig“ nunmehr zu unpräzise sei.

Zu kurz kam für mich jedoch die Frage, weshalb sich trotz dieser Auflösung der Gewissheiten und Traditionen auch in der Schweiz weiterhin heftige Konflikte an religiösen Fragen entzünden. Ist das der alte Unterschied zwischen Glaube und Religion? Greifen wir unwillkürlich zur religiösen Keule, wenn uns in gesellschaftspolitischen Diskussionen die Argumente ausgehen? Ist die wahre Kraft der Religionen die kulturelle Prägung, die sie ausüben? Die kurzen Schlaglichter auf drei Konfliktfelder sind relativ hilflose Versuche, die Vehemenz dieser Auseinandersetzungen zu ergründen und ihre wahren Ursachen offen zu legen. Die Ausstellung ist dort stark, wo sie den individuellen Glauben – unseren und den ihrer ProtagonistInnen – erkennbar macht. Sie stösst dort an ihre Grenzen, wo sie daraus Überlegungen zum Zusammenleben der Religionen ableiten will. Dieses Thema ist zu komplex, um so en passant mehr als nur angestossen zu werden. Und so sind die BesucherInnen, sind ihre Meinung und Interpretation ein weiteres Mal gefordert, nach der Ausstellung, auf dem Heimweg und darüber hinaus.

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