Dienstag, 18. November 2008

Traktoren

Das Theater an der Effingerstrasse hat bei der Berner rot-grünen Mehrheit einen schweren Stand. Die Gründe sind offensichtlich: Der Altersdurchschnitt beim Publikum liegt in der Regel über Sechzig (ausser wenn gelegentlich die obligate Schulklasse mit drin sitzt), die Stücke haben Anfang und Ende und dazwischen einen nachvollziehbaren Ablauf, und eine nackte Brust gibts, wenns hoch kommt, einmal pro Saison. Damit lässt sich natürlich an internationalen Festivals kein Blumentopf gewinnen, das so begehrte junge und hippe Publikum bleibt fern, und wer Kulturpolitik als Apéropolitik missversteht, findet bessere Locations mit mehr Öffentlichkeitsresonanz. Deshalb hat der unverwüstliche und unermüdliche Theaterleiter Ernst Gosteli regelmässig Absagen einstecken müssen, wenn er um einen kleinen Unterstützungsbeitrag aus der (ansonsten in kulturellen Dingen grosszügigen) Stadtkasse bat; entsprechende, teils leicht absurde Stadtratsdebatten verliefen in der Regel ziemlich genau den politischen Gräben nach; und erst letztes Jahr honorierte Bern das grosse Engagement des kleinen Theaters mit einer Subvention.

Ich bin Gostelis Haus – was sage ich, seinem Keller – seit Studienzeiten mit Zuneigung verbunden. Das liegt daran, dass ich an der Effingerstrasse wesentliche Teile meiner Theaterbildung genossen habe. Die paar wenigen obligaten dramatischen Exkursionen als Schüler eines humanistischen Gymnasiums hatten mich noch nicht zum Adepten gemacht. Den Vorschlag von T. ein paar Jahre danach, man könnte doch gelegentlich zusammen ins Theater gehen, fand ich aber dennoch reizvoll, und wir gesellten uns zum grossen, treuen Abonnementspublikum, das die Effingerstrasse zum meistbesuchten Sprechtheater der Schweiz macht. Das hatte zunächst den Vorteil der Regelmässigkeit: Wir sahen das gesamte Spektrum der Stücke, lernten die Schauspielerinnen und Schauspieler des erweiterten Ensembles kennen und schärften so unsere Augen und unser Verständnis. Dazu kam die Begeisterung für das, was Theater ausmacht: Dass da immer nur das ist, was live passiert, wenige Meter vor unseren Augen, ohne Netz und doppelten Boden, jeden Abend wieder frisch und von vorne.

Mein Abonnement habe ich vor drei Jahren nicht mehr erneuert, aber ich gehe weiterhin gerne an die Effingerstrasse. Diesen Monat wird, der Haustradition der Dramatisierungen von Prosawerken folgend, die „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ gegeben, der internationale Bestseller von Marina Lewycka in der Bühnenfassung von Tanja Geier. Die Story vom achtzigjährigen, nach dem Zweiten Weltkrieg nach England emigrierten pensionierten Ingenieur und Traktor-Aficionado, der plötzlich von tiefster Liebe zu einer sechsunddreissigjährigen Ukrainerin befallen wird, und von seinen zerstrittenen Töchtern, die diesem dritten Frühling und seiner Ursache zu Recht misstrauen, da die Schöne den liebestollen Alten gewissermassen mit dessen eigenem Einverständnis nach Strich und Faden ausnimmt, hat reichlich komisches, ja tragikomisches Potential. Leider geht das meiste davon beim Transfer auf die Bühne verloren: Die Geschichte wirkt unrealistisch überzeichnet und durchwegs vorhersehbar; die (durchwegs guten) Schauspieler haben trotz der Länge des Abends kaum Möglichkeiten, ihren scherenschnittartigen Figuren irgendwelche Tiefe zu verleihen; der Schluss ist nicht nur banal-kitschig, sondern auch völlig unmotiviert.

Tags darauf entdecke ich in der Bahnhofsbuchhandlung zufällig die Romanvorlage von Marina Lewycka. Nach kurzem Blättern ist mir klar, warum dieser Traktor als Buch funktioniert: Da ist die älteste Tochter die Erzählerin, und ihre ironisch-witzigen Invektiven kommen immer leicht schräg, nie ganz ernst daher. Der Text hat Schwung und genügend Raum, um sich auszubreiten. Aus dieser Vorlage ein Bühnenstück zu machen, erscheint mir aber so gut wie hoffnungslos – es sei denn als überdrehte Komödie, und das war es nicht.

So bestätigt sich mir eine alte Binsenweisheit aus Abonnementszeiten: Die wahren Perlen einer Spielzeit kommen oft überraschend. Wer sich nur herauspickt, was ihm im Programm gefällt, kann enttäuscht werden. Tröstlich ist bei allem, dass die Faszination der Bühne auch an einem schwächeren Abend wirkt.


Technisches: Der Traktor wird an der Effingerstrasse noch bis am 5.12. gegeben. Die Preise sind fair und Herr Gosteli am Telefon freundlich und speditiv. Wer das Buch vorzieht, findet es bei dtv.

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