Freitag, 3. Februar 2012

Die Unberührbaren

Dieser Plot liess Kitsch und Klischees befürchten: Schwerreicher Tetraplegiker in Pariser Stadtvilla engagiert Schwarzen aus der Banlieue als persönlichen Pfleger und Assistenten. Tatsächlich hakt Intouchables von Eric Toledano und Olivier Nakache, der aktuelle Erfolgsfilm aus Frankreich, scheinbar unvermeidlich die Szenen ab, die diese Konstellation nahelegt: Der Senegalese Driss (Omar Sy) macht noch beim Bewerbungsgespräch die hübsche Assistentin von Philippe (François Cluzet) an, mokiert sich über zeitgenössische Kunst und die Preise, die dafür bezahlt werden, kriegt sich nicht mehr ein vor Lachen über die Absurdie der Oper und beschwert sich im Restaurant Les Deux Magots darüber, dass der fondant au chocolat nicht genügend gebacken ist. Doch da ist auch dieser atemberaubende Vorgriff auf das Ende der Geschichte im Vorspann: Driss und Philippe jagen im Maserati über die Stadtautobahn, überholen hupend links und rechts, sticheln und lachen, amüsieren sich köstlich – und als sie gestellt werden, als zwei Polizisten den vorbestraften Driss vom Steuer zerren, da rettet ihn Philippe mit einem strategisch platzierten und meisterhaft simulierten Erstickungsanfall.

Intouchables ist die Geschichte einer Freundschaft, und eine Freundschaft wächst doch aus initialer Sympathie und gegenseitigem Entdecken. Letzteres ist zwischen zwei Studienkollegen natürlich einfacher und kürzer als es zwischen Banlieue-Kid und Grossbürger sein kann. Da sind etliche Mauern mehr niederzureissen und zu überwinden; mehr Eigenes muss in Frage gestellt und mehr Fremdes akzeptiert werden, und wer solches tut, tappt ganz unweigerlich in etliche Fettnäpfchen. Man sollte sich hüten, da vorschnell Kitsch und Rassismus zu denunzieren, denn die Klischees werden durchaus dekonstruiert. Wenn Driss in Meisterwerken der klassischen Musik Werbejingles und Telefon-Wartemusik wiedererkennt, ist das weniger ein Lächerlichmachen des ungebildeten Schwarzen als vielmehr eine pointierte Kritik am Missbrauch von Kunst für Kommerz. Und wenn der persönliche Assistent sich selber ans Malen macht und Philippe es fertig bringt, für ein (zugegebenermassen überraschend grossartiges) Bild von ihm bei einem seiner Galeristenfreunde zehn Tausender zu kassieren, wird das Wertesystem der zeitgenössischen Kunst sowohl demaskiert als auch bestätigt.

Spannender scheint mir freilich die initiale Sympathie zwischen den beiden Protagonisten. Philippe erklärt sie in einer der stärksten Szenen einem besorgten Freund, der ihn auf Driss‘ kriminelle Vergangenheit hinweist und ihn warnt, die Leute aus der Banlieue würden kein Mitleid kennen: Eben, entgegnet Philippe, genau darum geht es. Endlich einer, der kein Mitleid hat; der nicht auf Zehenspitzen durchs Haus schleicht, um mich Armen ja nicht zu stören; der mir das Handy reicht und dabei vergisst, dass er mir es ans Ohr halten müsste; der mich mit flapsigen Bemerkungen neckt, wie es normale Menschen untereinander tun. Oder eben auch: der sich rundweg weigert, den Gelähmten wie ein sperriges Gepäckstück im Laderaum eines Kleintransporters zu befördern, wenn doch daneben ein funkelnder Maserati steht. Ich glaube, dass sich beide gegenseitig als intouchables, als Parias erkennen, und dass deshalb eine Solidarität zwischen ihnen da ist und wachsen kann.

So passiert mit der Zeit, was Freundschaft eben ausmacht: Die Fassaden kriegen Risse, und die Menschen kommen zum Vorschein. Philippe kultiviert weniger sein zu Sarkasmus sublimiertes Selbstmitleid, Driss löst sich aus dem Gehabe des unverstandenen Rebellen. Dabei bringt jeder den anderen andauernd an seine Grenzen und stösst ihn noch einen halben Meter darüber. Jeder Schritt kostet die beiden sichtbare Überwindung, die Beziehung balanciert die längste Zeit auf dem schmalen Grat zwischen Verständnis und Überforderung, und der Zuschauer befürchtet fast ständig, dass der eine oder der andere explodiert und das diffizile Gleichgewicht in die Luft jagt. Daraus bezieht der Film seine Stärke. Er kulminiert in einer langen, wunderschönen und leicht surrealen letzten Szene, in der sich Philippe und Driss nochmals alles abfordern und sich gewissermassen gegenseitig in die Freiheit schubsen.


Technisches: Intouchables hat in Frankreich fast alle Rekorde geschlagen und läuft zurzeit flächendeckend in den Schweizer Kinos (Deutscher Titel: Ziemlich beste Freunde). Der Film beruht auf einer wahren Geschichte, die zuvor als Buch erschienen ist: Philippe Pozzo di Borgo, Le Second Souffle. Paris, Bayard éditions 2001 (Neuausgabe 2011). ISBN 978-2-227-48337-8.

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