Sonntag, 12. Februar 2012

Lunapark der Irrungen

Ein Winternachtstraum hat Cathy Marston ihre Shakespeare-Adaption für den ersten Berner Ballettabend dieser Saison genannt. Bei der Dernière letzte Woche stimmte das Wetter: In Mantel, Schal und Mütze dick vermummt eilten wir durch Schnee und Kälte ins Stadttheater. Anstelle der leichtfüssig-schwülen Atmosphäre des Sommernachtstraums beherrschte kühle Leere die Bühne. Karussell-Fragmente deuteten einen in Ruinen liegenden Lunapark als Spielort an; ein Maschendrahtzaun sperrte ihn notdürftig ab, ein Schild verbot den Eingang. Da sind ja alle Elemente vorhanden für ein wildes, verbotenes Treiben! Der doppelte Kobold Puck lockt ahnungslose Spaziergänger ins verbotene Land, und in der Kühlschrankatmosphäre kündigt sich Shakespearscher Schalk an.

Der Schalk zieht sich durch das Stück, blitzt immer wieder auf, auch in Requisiten wie den überdimensionierten Badeentchen oder dem ewig auf- und absteigenden Karussellpferd. Doch die Grundstimmung bleibt angespannt, bedrückt. Die amourösen Verwirrungen sind ziemlich schonungslos in Szene gesetzt; die Tanzsprache ist weniger rund und fliessend als bei vielen von Marstons bisherigen Produktionen, vielmehr von Akrobatik, ja Slapstick geprägt; auch Hip-Hop-Moves sind einige zu sehen. Ein immer wiederkehrendes Motiv ist das Untereinander-durch: Viele Kontakte und Konfrontationen enden damit, dass sich der eine unter dem anderen durchschiebt, auch aus den unmöglichsten Situationen heraus – ein starkes Symbol dafür, dass es hier drunter und drüber geht, oder auf Schweizerdeutsch, dass hier einiges zunderobsi gekehrt wird. Und natürlich die Musik: Gabriel Prokofiev hat die frische, leichte Sommernachtstraum-Musik von Felix Mendelssohn mit seinem eigenen Concerto for Turntables & Orchestra gekreuzt und ergänzt.

Das ist eine explosive Mischung mit einigen Querschlägern. Bis zur Pause kommt wenig Zug auf, und schon gar kein Schwelgen; die Szenen wirken gelegentlich unfertig, die Übergänge sind brüsk. Im zweiten Teil beruhigt sich das wilde Treiben etwas. Auf einmal kriegen die Figuren Zeit, sich miteinander zu beschäftigen; wir sehen ein intensives, langes Duett; die Akrobatik bleibt dominant, wird aber abgerundet. Zum Schluss schwebt auf Kettenkarussell-Sitzen dann auch noch ein Kinderchor über die Bühne, währenddem darunter Hochzeit gefeiert wird.

Es lohnt sich, Gabriel Prokofievs Blogeintrag zur Entstehungsgeschichte dieser Produktion zu lesen. Dabei wird klar, wie sehr Cathy Marston die Meisterschaft hat, ganz verschiedene Inputs und Ideen zusammenzubringen, in ihrem Kopf Bilder zu sehen, Musik zu hören und beides zu kombinieren; und wie sie diese Mischung dann mit richtigen Menschen, mit dem Bern:Ballett, dem Berner Sinfonieorchester, dem DJ Martin Baumgartner, dem Damen- und Kinderchor, Realität zu werden vermag.


Technisches: Da wir an der Dernière waren, kommt dieser Blogpost zu spät für allfällige Nachahmung. Für einen schwachen Nachklang verweise ich wieder auf den Trailer bei art-tv; für weitere Lektüre neben dem bereits Verlinkten auf die Kritik von Marianne Mühlemann im Bund.

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