Dienstag, 3. April 2012

Sapperlot!

Die Schweiz ist ein raumfüllender schwarzer Spannteppich, nahtlos ins Ausland übergehend; nur die Negative der Seen akzentuieren diese uniforme Landschaft und machen sie kenntlich. Darüber hängen dreizehn Lautsprecher, und daraus tönt Dialekt. Sapperlot! Mundarten der Schweiz heisst die Ausstellung in der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern, und drei Dutzend Tonzeugnisse spielen die Hauptrolle, nehmen den Raum ein, bevölkern die leere Schweiz aus Teppich: witzig-trockene berndeutsche Gedichte von Eggimann und Marti, Slampoesie avant la lettre von Niklaus Meienberg, der verhalten melodische Klang der romanischen Idiome, ein edles, ein wenig steifes Stadtbaseldeutsch, das Greyerzer Patois mit seinen an alles, nur nicht ans Französische erinnernden Lauten, und die ausgesprochen farbigen, etwas wilden Dialekte aus den Tessiner Tälern. Überraschend gut verständlich ist das Walserdeutsch aus Bosco/Gurin, hart an der Grenze der Haslitaler Dialekt, und eine richtige Fremdsprache ist das ausgestorbene Surbtaler Jiddisch, aus dem nur einzelne Begriffe wie Tachles oder Mischpòòche herausleuchten. Man kann problemlos lange verweilen unter diesen Hörfenstern in die gesprochene Sprache (oder an den Hörstationen mit identischem Inhalt), und dazu kann man im schönen Begleitheft mitlesen, so gut es geht, die überbordenden Akzentlandschaften des Patois durchmessen und die ü-punktierte Bibelstelle aus Cavergno, und immer wieder staunen über den seltsamen und leicht anarchischen Vorgang, der aus einer gesprochenen Sprache wie dem Entlebuchischen einen Text macht. Die faszinierende Diglossie der Deutschschweizer wird auch in einigen träfen Zitaten von Dichtern und Denkern im Gang vor der Ausstellung meditiert und auf den Punkt gebracht.

Den Wänden nach zeigen Vitrinen die Dokumentation des schweizerischen Sprachreichtums. Bücher, Briefe, Notizen und Zettelkasten zeugen von den verschiedenen Versuchen, den Dialektbestand der vier Sprachgebiete festzuhalten: das Schweizerische Idiotikon, das Glossaire des patois de la Suisse romande, das Vocabolario dei dialetti della Svizzera Italiana und der Dicziunari Rumantsch Grischun entpuppen sich als monumentale Forschungsunternehmungen, aus bescheidenen Anfängen geboren und geprägt von mühevoller Kleinarbeit. Eine Zusammenstellung der Aufnahmegeräte ergibt eine beeindruckende Technologiegeschichte, vom Phonographen bis zum Flash-Recorder – und das Problem der Archivierung der Aufnahmen wird implizit überdeutlich. Ein kleiner Querschnitt durch Schweizer Dialektliteratur aus den hauseigenen Beständen sorgt für Wiedersehensfreude und Aha-Effekte.

Wie in der Nationalbibliothek üblich ist die Ausstellung klein aber fein. Extra nach Bern reisen werden dafür wohl nur speziell Interessierte. Es empfiehlt sich aber, Sapperlott! quasi als Zugabe zu geniessen, zum Beispiel zu einem Besuch im neueröffneten Alpinen Museum gleich um die Ecke oder in einem der anderen Häuser des Berner Museumsquartiers.


Technisches: Sapperlot! Mundarten der Schweiz ist in der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern (Hallwylstrasse 15, Erdgeschoss rechts) noch bis am 25. August zu sehen – beziehungsweise zu hören. Hören kann man die Tonbeispiele auch im Internet.

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