Freitag, 7. Dezember 2007

Tanz handelt vom Tanz

Vor einer Woche war ich am ersten Ballettabend der neuen Tanzchefin Cathy Marston und ihrer Compagnie im Stadttheater Bern. Unvorbereitet wie ich war habe ich ein Programmheft gekauft, von dem ich ebenso begeistert war wie vom Geschehen auf der Bühne und im Orchestergraben. Deshalb hier ein paar Zitate daraus:

Tanz handelt vom Tanz.
(Hans van Manen, niederländischer Choreograf)

Dieser Satz hat mein Verständnis von Tanz wesentlich befördert. Die paar Tanzabende, die ich in meinem Leben gesehen habe, kann man noch fast an zwei Händen abzählen. Meine Analyse dieser Kunstwerke beruht exklusiv auf Learning by Doing. Intuitiv ging ich davon aus, dass die Bewegungen auf der Bühne eine Handlung, eine Aussage transportieren, die es zu entschlüsseln gelte. Van Manen belehrt mich eines Besseren: „Es darf nicht so sein, dass man versucht, mit Bewegung Wörter zu imitieren.“ Tanz stellt in erster Linie sich selber dar. Van Manens Choreografie „Concertante“ zur Petite Symphonie Concertante op. 54 von Franck Martin zeigt, was gemeint ist. Zunächst entsteht eine Bewegungsrichtung, von rechts nach links. Die Tänzer folgen und verfolgen sich. Dann wachsen aus diesem Grund und diesen Linien Formen und Paare. Die Bewegungen werden komplexer, der Raum wird gefüllt. Tanz und Musik sind so eng verflochten, dass nicht klar ist, was zuerst war – sie scheinen beide miteinander und füreinander entstanden zu sein. (Hat da jemand Gesamtkunstwerk gesagt?)

Mit einem unterdrückten und oft überwältigend dissonanten Klang ist Reichs „Triple Quartet“ eine seiner verwunschensten Kompositionen. In dem unnachgiebigen Fortschritt der Musik steckt eine Energie, die erst irgendwann, nachdem der letzte Ton verklungen ist, endet.
(Doug Varone, amerikanischer Choreograf, zu Steve Reichs Triple Quartet für Streichorchester)

Im Rückblick erscheint mir Doug Varones Choreografie „Of the Earth far Below“ als kurzes und heftiges Kabinettstück. Steve Reichs Musik peitscht mit grossem Gestus, schneidender Dissonanz und treibenden, streicherbetonten Rhythmen die Tänzer über die Bühne. Der Tanz ist rasant und von artistischer Präzision. Die Körper rennen, gleiten und fliegen wie in einem Kampf ohne Konfrontation. Das Stück ist von knapper Brillanz.

Bekanntermassen ist es schwer, Politik zu vertanzen.
(Cathy Marston)

Das war mir nicht bekannt; oder besser gesagt, ich habe mir die Frage nie gestellt. Da ich nun allerdings Cathy Marstons Feuervogel-Choreografie gesehen habe, muss ich ihr widersprechen: Politik besteht aus Inszenierungen, Positionskämpfen und Machtmarkierungen, aus Beziehungen und Koalitionen, aus Öffentlichkeit und Heimlichkeiten. Mir scheint der Tanz wie kaum eine andere Kunstform geeignet, diese Dynamiken aufzunehmen und zu verarbeiten. Ja, ich wundere mich fast, weshalb Politik nicht öfter vertanzt wird.
Marston projiziert das alte russische Märchen vom Feuervogel in die politische Tagesaktualität des beginnenden 20. Jahrhunderts, der Entstehungszeit von Strawinskys Ballettmusik. Sie identifiziert den Feuervogel mit dem schillernden Rasputin, dem Vertrauten der Zarenfamilie in den bedrückenden Tagen des Ersten Weltkriegs. Und es zeigt sich: Wenig charakterisiert eine Person so präzise und unmittelbar wie ihre Bewegungen. In einem klassischen, operettenhaften Setting agieren die glücklosen Protagonisten, diese tragischen Figuren, in den vorgezeichneten Bahnen ihrer Persönlichkeit. Deren Zeichnung ist vielschichtig: Eindrücklich der Zar, der zwischen politischer Pflicht, Militärkameradschaft, Verzweiflung um seinen Sohn und herzlicher Zuneigung zu den Töchtern sichtbar hin- und hergerissen ist. Und faszinierend das Porträt von Rasputins Mörder Felix, diesem Offiziers-Macho, der gleichwohl vom mystischen Prediger magisch und erotisch angezogen wird.

Ohne Repertoire gibt es keine Tradition. Und ohne Tradition gibt es keine Verbindung zu all dem, was vor der Gegenwart getan wurde. Tradition ist nichts, was mit Vergangenheit zu tun hat. Tradition ist das, was wir heute mit der Vergangenheit tun. Die Zukunft ist, die guten Dinge der Vergangenheit zu entdecken und auf ihnen aufzubauen.
(Nochmals Hans van Manen)

Prominent platziert auf der inneren Umschlagseite des Programmhefts - ein Manifest für die neue Compagnie am Stadttheater Bern? Die letzten drei Jahre hat Stijn Celis die zeitgenössische Tanzsprache auf die Bühne des Stadttheaters Bern gebracht. Das war spannend und experimentell und schwierig. Die Antrittsvorstellung von Cathy Marston hat mich neugierig gemacht auf einen Tanzstil, der sich stärker aus der Beziehung zu seinen Wurzeln nährt. Ich freue mich, diese Facette von Tanz in Bern in nächster Zeit öfter zu sehen.


Technisches: Tanz3 steht noch bis am 31.01.08 auf dem Spielplan des Stadttheaters. Passend zum Personalwechsel im Stadttheater gibt Kristina Soldati im Kulturmagazin ensuite (November 07, p.6-7) dem interessierten Laien eine fundierte Gesamtschau zur Entwicklung des modernen Tanzes.


[UPDATE: Die Einführung von Kristina Soldati ist einfacher auch auf ihrem Blog tanzkritik.net verfügbar. Dort finden sich auch fortlaufend sämtliche Artikel ihrer Reihe "Die Anfänge des Modern Dance".]

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