Der letzte Ballettabend von Stijn Celis im Stadttheater Bern, ein letzter Versuch, diesen Tanzstil zu verstehen und zu geniessen. Kurz bevor Celis vor drei Jahren in Bern anfing, hatte sich bei mir so etwas zwischen Lust auf und Interesse an Tanz bemerkbar gemacht. Genauer: Nachdem ich in den Jahren davor zu einem regelmässigen Theatergänger geworden war (die Effingerstrasse lässt grüssen), fand ich, dass es an der Zeit sei, sich auch mal mit Tanz zu beschäftigen. Ich hatte keine Ahnung, weder von traditionellem Ballett noch von zeitgenössischem Tanz; aber ich ging davon aus, dass sich das Verstehen und Geniessen von Tanz lernen lässt, so wie das Verstehen und Geniessen von Sprechtheater oder klassischer Musik. In Barbara fand ich eine Mit-Interessierte, und so wurden wir zu Stammgästen in den Ballettaufführungen am Stadttheater. Meine Sinne schärfte ich zudem in der Dampfzentrale und am Zürcher Opernhaus.
Soviel zu meinem Rucksack, nun zum gestrigen Tanzabend. Zur Kunst von Stijn Celis steuerte Franticek Klossner Video- und Lichtinstallationen, Don Li Musik und Gerhard Johann Lischka einen Text bei. Dieser Zusammenprall von Elementarteilchen hinterliess in der Nebelkammer Stadttheater drei unterschiedliche Spuren: poetisch-ästhetisch die erste, wo sich zu melodischen und melodisierten Worten von Edith Piaf Licht und Konturen bewegten; intellektuell-entrückt die zweite, wo ein (für mich in dieser Konstellation zu komplexer) Essay über Schönheit von einer schwebenden Zeitlupenfigur gebrochen wurde; abstrakt-athletisch die dritte, wo die Truppe nochmals die geballte, beherrschte Körperlichkeit zeigte, die das Ballett in Bern in den letzten drei Jahren geprägt hat.
Haften geblieben sind einige magische Bilder – die deponierten Tänzersilhouetten im ersten Teil, das schwere- und anstrengungslose Luftballett im zweiten, virtuose Figuren im dritten. Etwas hilflos bin ich nach drei Jahren immer noch, was mein ursprüngliches Ziel, Tanz zu lesen und zu verstehen, angeht. Der ästhetische Genuss, die Freude am Sehen sind da; dahinter ist nicht viel. Das Gesehene zu interpretieren, in einen Zusammenhang zu stellen, gelingt mir kaum. Vielleicht suche ich zu weit? Die lokale Presse weist auf die Stoffgeschwüre hin, die die Schönheit konterkarieren, sieht extrovertierte Schönheit im Discoanzug mit der natürlichen Schönheit in Unterwäsche konfrontiert. Das hätte ich auch sehen können – aber ob ichs zu interpretieren gewagt hätte? Zu einfach wäre es mir erschienen, zu banal und kaum der Rede wert. Vielleicht muss ich die nächste Tanzsaison elementarer angehen, wenn ich mir die Dimension hinter der ästhetischen Oberfläche erschliessen will.
[UPDATE: Das Stadttheater Bern hat eine neue Website und die alte geschreddert, weshalb ich den Link anpassen musste.]
Komplexe gegenüber der lokalen Presse zu entwickeln, die Interpretationen von etwas wagt, was Phemios platt scheint, wäre schade. Kritiken sollten sich denn nicht durch Wagnis im Interpretieren auszeichnen, als vielmehr konkrete Anhaltspunkte geben (Analyse! Im Fall des Tanzes tatsächlich auch die von Bewegung, nicht nur von Bühnenbild, Kostüme, Musik), welche die Interpretation stützen.
AntwortenLöschenKritik an uns Kritiker - wir vertragen' s -, weiter so, Phemios!
Kristina Soldati (kso)