Es ist nicht so lange her, dass sich die Theologische Fakultät der Universität Freiburg i.Ue. noch weniger durch Linientreue als hauptsächlich durch hochstehende, originelle Lehrer und Forscher auszeichnete. Einer der originellsten, vielleicht der wichtigste Freiburger Theologe der letzten Jahrzehnte, wirkte auf dem deutschsprachigen Lehrstuhl für Altes Testament: Othmar Keel. Sein bleibender Beitrag zur alttestamentlichen Forschung war es, die jüdischen Heiligen Schriften nicht als isolierte Einzelwerke zu sehen, sondern im Kontext der anderen Kulturen der Levante und des vorderen Orients zu verstehen. Bei der Erforschung dieses Kontext stützte er sich – das war das eigentlich Neue – in erster Linie auf die altorientalische Ikonografie ab, welche er für die Bibelwissenschaften fruchtbar machte. Er gab den Anstoss zu einer inzwischen um die 14'000 Objekte umfassenden Sammlung vorderasiatischer und ägyptischer Kleinkunst, die einerseits als Basis für die Forschung dient, anderseits dem breiten Publikum in Bälde auch in einem eigenen Museum, dem geplanten Bibel+Orient-Museum im Thierryturm neben der Universität Miséricorde, zugänglich gemacht werden soll (was übrigens, angesichts der europaweiten Einzigartigkeit dieses Schatzes, vollumfänglich berechtigt ist).
Ein Vorgeschmack daraus war zu Beginn dieses Jahres im Museum für Kunst und Geschichte Freiburg zu sehen (und ist jetzt unterwegs ins Diözesanmuseum Rottenburg). Die Ausstellung „Gott, weiblich“ fokussierte dabei auf weibliche Bilder des Göttlichen. Zu fünfzehn ausgewählten Aspekten wurden den altorientalischen Objekten aus der Sammlung jeweils Gegenstände des katholischen Kultes, insbesondere der Marienverehrung gegenüber gestellt, was zunächst einen (durchaus gewollten) augenzwinkernden Vergleichseffekt verursachte. Die Ausstellung ging aber in vielerlei Hinsicht darüber hinaus; einerseits religionsintern, anderseits religionsvergleichend. Lehrreich war für den gebildeten Laien der Nachweis, dass das Judentum keineswegs von Anfang an dem bekannten strikten Monotheismus anhing, dass vielmehr neben JHWH auch andere Gottheiten, insbesondere die Göttin Aschera, verehrt wurden. Lehrreich war die Präsentation der breiten Darstellungen des Weiblichen in den altorientalischen Institutionen. Lehrreich war dann besonders, dass bestimmte Aspekte von Kult und Glaubenspraxis, die im alten Orient mit weiblichen Gottheiten verbunden waren, im Katholizismus mit Maria in Zusammenhang stehen: die Familie und damit verbundene Sorgen und Leiden, aber auch die ikonografische Konnexion der Göttinnen mit den Sternen, die in den Beinamen Marias wie „Stella Maris“ oder in Darstellungen wie der Madonna von Lourdes Parallelen finden. Einmal mehr wurde schliesslich deutlich, dass Religionen wandelbar sind, Modelliermasse in den Händen der Mächtigen, wie des Jerusalemer Königs Joschija, dessen Reform von 622 v. Chr. die weltgeschichtlich entscheidende (Wieder-)Erfindung des Monotheismus bedeutete.
Die Ausstellung ist leicht zugänglich und didaktisch gut aufgebaut; sie beeindruckt durch die Fülle und kluge Auswahl ihrer Objekte und überfordert den Besucher nicht. Eher noch unterfordert sie ihn: Die knappen, informativen Einleitungstexte hätte ich auch mit Interesse gelesen, wenn sie doppelt so lange gewesen wären. Und dann hätte ich schon ganz gerne gewusst, wie die Wissenschaft diese vielfältigen Parallelen zwischen altorientalischen Religionen und dem Katholizismus westeuropäischer Prägung erklärt. Sind es einfach Zufälligkeiten, religiöse Gemeinplätze gewissermassen; ist die Gegenüberstellung mithin leicht tendenziös? Oder steckt mehr dahinter, gibt es Verbindungen, Entwicklungslinien? Letzteres vor allem wäre interessant zu wissen und ein fruchtbarer Input für weitere Diskussionen. Ich hoffe auf den Katalog, der bisher erst auf Französisch vorliegt, für die Ausstellung in Rottenburg dann aber auch ins Deutsche übersetzt werden wird.
Technisches: Die Ausstellung „Gott, weiblich“ hat im Museum für Kunst und Geschichte Freiburg ihre Tore geschlossen und ist jetzt unterwegs ins Diözesanmuseum Rottenburg, wo sie vom 6. Mai bis zum 3. August 2008 zu sehen sein wird. Der Katalog ist beim Bibel+Orient-Museum in Freiburg erhältlich.
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