Mittwoch, 2. April 2008

Don’t see what anyone can see in anyone else but you

Bitte zuerst etwas Musik auflegen: zum Beispiel „Anyone else but you“, „All I want is you“, „Tyre swing“ oder „Tree hugger“. Gehen die Mundwinkel nach oben? Leuchten die Augen? Klart der Geist auf? Das ist der Juno-Effekt. Der Überraschungsfilm des letzten Jahres skizziert mehr als er erzählt mit unerhörter Leichtigkeit, grossem und absurdem Humor und viel Liebe die Geschichte der sechzehnjährigen Juno MacGuff, die bei der tatkräftigen Verführung des scheuen Paulie Bleeker ungewollt schwanger wird. Nun hätte ein Film über eine Teenagerschwangerschaft, natürlich, das Potential zum Melodrama, zur Sozialtragödie oder zur Teenieklamotte. Aber das frische Drehbuch der unglaublichen Debütantin Diablo Cody, die dafür den Oscar verdiente, vermeidet die allseits dräuenden Fallen. Stattdessen sehen wir amüsiert und zunehmend gebannt eine Wucht von Protagonistin, Ellen Page, als rebellisch-rotzlöfflig-sarkastische Juno mit umwerfender Präsenz und ständig wachsendem Bauch durch ihre kleine Welt stapfen; und anstatt an ihrem nun wahrlich nicht ganz einfachen Schicksal zu verzweifeln (ich erwähne nur ein hamburgerförmiges Telefon und eine Abtreibungshelferin auf Drogen), meistert sie es mit einer Unbekümmertheit, die verblüfft und unterhält und berührt. Gelacht wird viel, aber „Juno“ ist keine platte Komödie; und wenn viele der Figuren auch schräg bis schrill und beileibe nicht ohne Klischees sind, werden sie dennoch nicht blossgestellt, sondern behutsam und zärtlich in ihre Rolle gekleidet und an ihren Platz gestellt: Junos Eltern meistern ihren Schock mit viel Weisheit und Liebe und ab und zu einem deftigen Fluch; die potentiellen Adoptiveltern Mark und Vanessa, ein Yuppie-Pärchen, hätten sich viel zu sagen und zu erklären, tun das nicht eigentlich, bleiben aber im dadurch wachsenden Schlamassel letztlich trotzdem nicht stecken; und Junos beste Freundin Leah hat alle Voraussetzungen zur Tussi, ist aber eine grossartige Begleiterin. Wenn man dem Film etwas vorwerfen kann, dann allenfalls dies: dass er einige Figuren und ihre Regungen allzu flüchtig skizziert. Was nun zum Beispiel Juno und Bleeker wirklich verbindet, was ihre Zuneigung über eine Laune heraushebt und Juno zu ihrer berührenden Liebeserklärung veranlasst, muss man hauptsächlich erraten. (Ja, ja, ich weiss schon – die Magie der Liebe halt. Und vielleicht bin ich auch einfach rückwirkend neidisch, dass die scheuen Teenie-Sonderlinge in Film und Fernsehen immer die coolen Mädchen abkriegen, was meiner Erinnerung an die Realität doch stark widerspricht.)

Abgerundet wird der Film durch die Trällerliedchen von Kimya Dawson und The Moldy Peaches; nicht einfach nur Soundtrack, sondern Stimmungserzeuger, die die Leichtigkeit der Bilder auf der Tonspur duplizieren. Dass ein solcher Film einen Nerv zu treffen scheint, dass er ein so vielfältiges Publikum begeistert (93% Zustimmung auf Rotten Tomatoes, von der A-Liste der Kritiker liest man dort kein einziges schlechtes Wort), ist eine der besten Nachrichten aus der Kinowelt der letzten Zeit.


[UPDATE: Diablo Codys Blog scheint ein unstetes Schicksal zu haben; der Link wurde ersetzt durch ihre MySpace-Seite.]

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen