Dienstag, 25. März 2008

Synästhetisches Vergnügen

Ich habe monatelang keine Belletristik mehr gelesen und noch länger keinen Roman mehr. Irgendwie schrecken mich die richtig dicken Bücher etwas ab, obwohl ich sie als Kind jeweils im Wochentakt verschlungen habe. Eine Bahnfahrt in die Bretagne war der geeignete Anlass, um den Bann zu brechen und um endlich mal Süskinds "Parfum" zu lesen. Michèle Roten hat schon recht:

Wie sonst soll man je dem Innenleben, der Perspektive, dem Ich, der Welt, den Ideen, Gedanken – schlicht: einer anderen Person so nahe kommen wie über Bücher? Wenn man überhaupt nicht liest – wie kann man ein soziales Leben bewältigen, Empathie lernen, ohne die eigenen Empfindungen ab und zu mit denen von Romanfiguren abzugleichen?

Ich genoss es, einzutauchen in das olfaktorische Armageddon des Paris des 18. Jahrhunderts, den Spuren des faszinierenden, geruchs- und gefühllosen Scheusals Grenouille zu folgen. Patrick Süskind schreibt in blumiger und zugleich chronistisch-nüchterner Sprache. Dass dieses Buch der meistverkaufte deutschsprachige Roman des 20. Jahrhunderts wurde, erstaunt mich nicht: Es liest sich flüssig und ist doch magistral durchkonstruiert; die Fabel ist höchst fantastisch, ja irreal, aber von einer genialen, packenden, überzeugenden Logik. Und obwohl ich keinen sehr agilen Geruchssinn habe und schon gar kein gutes Geruchsgedächtnis, feuerten meine Synapsen bei der Lektüre all dieser Duftbeschreibungen, nahmen der Geruch von morschem Holz, von Asche und Leder, von silberbesticktem Brokat, von gespicktem Kalbsbraten, von schillernder Seide und honigsüsser Milch in meinem Kopf Formen an, wenn auch rudimentäre, und machten die Lektüre im durchs weite Frankreich rasenden Zug zum gleichsam synästhetischen Vergnügen.

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