Donnerstag, 20. März 2008

Hau den Willi

Weil von Shakespeare jeder eine Ahnung hat, aber niemand wirklich viel kennt, weil mithin das Abendland gerade in seinen eigentlichen Vertretern, dem Abonnementspublikum des Stadttheaters, durch oberflächliches Halbwissen im Kern gefährdet ist, machen sich ein umgänglicher Thurgauer, ein Shakespeare-Forscher aus der Provinz und ein Nachwuchsmime, für den die Bühne in erster Linie der Selbstdarstellung dient, daran, in einem Abend Shakespeares Sämtliche Werke (leicht gekürzt) aufzuführen. Kann das ernst gemeint sein? Natürlich nicht. Muss das nur komisch sein? Nein – auch wenn Mario Gremlich, Gunter Heun und Max Merker im Theater SolothurnThe Complete Works of William Shakespeare (Abridged)“ der „Reduced Shakespeare Company“ als völlig überdrehte Comedy darboten und dabei regelmässig zum humoristischen Vorschlaghammer griffen. Damit punkteten sie nicht nur beim gymnasialen Pflichtpublikum; nein, auch der bildungsbürgerliche Teil der Zuschauer liess sich nicht zweimal bitten und von der Bierzeltstimmung tüchtig anstecken. Diese mag übrigens derjenigen in Shakespeares eigenem Theater recht nahe kommen, was bereits ein Verdienst des Abends war: Anzutönen nämlich, wenn auch brachial, dass dieser grosse Dramatiker ein rechter Hanswurst war, keine Berührungsängste kannte, derb und simpel schreiben konnte.

Und das war nicht die einzige Botschaft. Verschiedene Aspekte des zeitgenössischen Theaters wurden teils grob, teils auch sehr fein und fast behutsam gegen den Strich gebürstet. Das fing an mit dem erwähnten Klassiker- und Kanon-Wesen, wo – Hauptsache geflügelte Worte – an Shakespeares Statt auch schon mal und immer wieder mal Schiller auftauchen kann, und führte über den Othello-Rap (ist das jetzt noch cool oder schon wieder out?) bis zur psychologisierenden Interpretation, wo der ganze Saal für eine Es-Ich-Über-Ich-Demonstration Stimme und Hand bieten musste. Quasi en passant wurde auch die Shakespeare-Interpretation provokativ auf den Punkt gebracht. Die Komödien? Überströmen nicht gerade von Handlung, haben eigentlich alle den gleichen Plot, eine hätte genügt („Viel Lärm um die Zähmung der zwei lustigen Herren aus Venedig wie es euch alles gut gefällt was ihr Mass für Leid und Lust wollt in Sturm, Irrungen und Sommernachtsmärchen“). Die Königsdramen? Ein fortgesetztes Footballspiel um eine Krone, in wenigen Minuten rationell abzuhandeln.

Da waren also viel Witz und Geist und kostbare Details; aber das ganze war mir zu klamaukig – oder wie T. es in der Pause ausdrückte: „Man muss schon sehr gut sein, um mehr als einmal ins Publikum kotzen zu können.“ Und wie es so ist: Wenn einmal zum Holzhammer gegriffen wurde, kann der nächste Effekt nur mit noch stärkerem Schlag erzeugt werden. So artete und uferte das Stück langsam aus, vor allem in der auf einmal überlangen Hamlet-Kurzfassung, die die ganze zweite Hälfte in Anspruch nahm und zeitweise nicht mehr vom Fleck kam. Das war etwas schade. Dass es Max Merkel in dem abgedrehten Finale schaffte, für den „What a piece of work is man“-Monolog Hamlets das ganze Theater aus dem Stand auf gebanntes Schweigen herunterzudrehen, spricht allerdings für ihn. Dass gleich nach der Pause ein wunderschönes, völlig unerwartetes Shakespeare-Sonnett in berührendem Thurgauerisch mit ähnlichen Lachern bedacht wurde wie die vorangegangenen Gags, spricht seinerseits nicht gerade für das Publikum, war aber leider symptomatisch für die Inszenierung.


Technisches: Wir waren in Solothurn an der Dernière, aber das Stück ist ein ziemlicher Renner und zweifellos in Kürze auf einer Bühne in Ihrer Nähe zu sehen.

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