Sonntag, 7. September 2008

Bei Grandson das Gut

Karl der Kühne ist, so lernten wir schon in der Schule, eine Schlüsselfigur der ausgehenden Mittelalters. Der militärische Sieg der Eidgenossen über das renommierte burgundische Heer war ein Ereignis von mythenbildender Kraft, und ebenso mythisch waren die Reichtümer, die den Eidgenossen bei Grandson mehr in die Hände fielen als tatsächlich erobert wurden. Dies gilt besonders für den Stand Bern, der in den Auseinandersetzungen mit Burgund eine führende Rolle gespielt hatte, der beim Zank um die Beute die geschicktesten Entscheidungen traf und der aus diesem Ereignis Renommee und Legitimation bezog. Und immer noch bezieht, ist man versucht anzumerken, wenn man die Ausstellung „Karl der Kühne“ im Bernischen Historischen Museum gesehen hat – eine Schau der Superlative, ein multimedialer Ausstellungsevent, eine jener Grossproduktionen, die im internationalen Ausstellungbusiness zurzeit den Standard darzustellen scheinen. Denn zuallererst ist diese Ausstellung eine Schatzkammer mit dem Berner Anteil der Burgunderbeute im Mittelpunkt. Die in jeder Hinsicht monumentalen Tapisserien werden natürlich gezeigt, daneben weitere Meisterwerke der burgundischen Hofkultur, wobei die tatsächlich beeindruckenden Berner Bestände klug ergänzt sind um gewichtige Leihgaben aus ganz Europa. Besonders Wert gelegt wird auf die gegenseitige Durchdringung von Malerei, Bildhauerei, Teppichweberei und Grafik, auf die in Burgund vereinigten Kunstuniversen von Flandern und Italien.

Geblendet von der schieren Pracht und Menge der Schätze, entdeckt man jedoch weitere, weniger offensiv vermittelbare Aspekte. Zu nennen sind hier zunächst die instruktiven Ausführungen zur Hofhaltung und zur modernen Verwaltungsbürokratie, für die Karl der Kühne wesentliche Geburtshilfe geleistet hat. Riesig ist die Zahl der Höflinge und unterhaltsam ist die Aufzählung ihrer Titel: Über tausend Leute standen auf der säuberlichen Lohnliste des burgundischen Hofes.

Zu besonderer Hochform läuft die Ausstellung da auf, wo sie den Prunk der Objekte zur Vergegenständlichung der politischen und psychologischen Bildersprache verwendet. Dargestellt ist dies in der grossen Eingangshalle der Ausstellung am Beispiel des Trierer Fürstentages von 1473, dem diplomatischen Treffen, welches Karl die Königskrone und seiner Tochter Maria den habsburgischen Thronerben Maximilian hätte verschaffen sollen. In Trier kamen dazu die mobilen Höfe des römischen Kaisers und des burgundischen Königs sowie mehrere Kurfürsten zusammen. Das diplomatische Protokoll jener Zeit regelte die Details eines solchen Rituals; jegliche Verstösse dagegen wurden aufmerksam registriert, positiv oder negativ interpretiert, und beeinflussten das weitere Vorgehen. So scheint sich Karl mit seiner massiven Prunkdemonstration keinen Dienst erwiesen zu haben; letztlich scheiterten seine Ambitionen auf den Königsthron, wenn er auch seine Tochter tatsächlich mit Maximilian verheiraten konnte. (Einige berührende Briefe aus der privaten Korrespondenz des Paares sind ebenfalls ausgestellt.)

Im letzten Teil der Ausstellung liegt der Fokus dann auf den Kriegen. Das ist weniger traditionelle Schlachtengeschichtsschreibung als vielmehr Erinnerung daran, dass während des Grossteils der menschlichen Geschichte Kriege und Schlachten eine dauernde Realität waren und dass die überschüssigen Hormone des männlichen Jungvolks ohne Umstände in Freischarenzüge und andere Scharmützel und Brutalitäten münden konnten. Erinnerung daran auch, dass ein Herrscher gewaltigen Prunk als mobile Palastausstattung mit sich führte, damit er zu jedem Zeitpunkt seine Herrschaft demonstrieren konnte. Und damit schliesst sich der Kreis zu jener mythischen Kriegsbeute, die nicht nur die Eidgenossen des 15. Jahrhunderts, sondern auch uns heutige noch blendet.


TECHNISCHES: Die Ausstellung ist in Bern bereits wieder vorbei. Sie lässt sich jedoch vom 27.3. bis am 21.7.2007 im Groeningemuseum in Brügge bewundern; danach reist sie weiter ins Kunsthistorische Museum Wien. Der reichhaltige Katalog ist im Verlag Neue Zürcher Zeitung erschienen.

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