Wer je auf der Athener Akropolis war, kennt den schmucklosen Flachdachbau, der sich hinter dem Parthenon in einer Felsvertiefung an die Befestigungsmauer schmiegt. In den engen Sälen dieses unprätentiösen Gebäudes, des alten Akropolismuseums, drängten sich ungezählte Kunstwerke, die zum eindrücklichsten gehören, was wir von der griechischen Antike kennen: Giebelskulpturen von den ersten Monumentalbauten aus historischer Zeit; die spektakulär erhaltenen archaischen Statuen wie zum Beispiel die Koren mit ihrem geheimnisvollen Lächeln; und die Bauskulptur des Parthenons – jedenfalls das, was Lord Elgin davon übrig gelassen hatte. Was auf dem Heiligen Felsen gefunden worden war, war hier in unmittelbarer Nähe ausgestellt. Das Haus war mein Lieblingsmuseum in Griechenland, ein Fixpunkt bei jedem Besuch, und ohne Diskussion trotz der kritischen Platzverhältnisse eines der bedeutendsten archäologischen Museen der Welt. Man kann sich deshalb denken, dass ich nicht nur begeistert war, als sich das Projekt eines neuen, grösseren Akropolismuseums südlich des Burgbergs zu konkretisieren begann, und dass ich vor zwei Jahren den Transport der unschätzbaren Werke in blauen Containern, die an hohen Kränen baumelten, mit gemischten Gefühlen verfolgte.
Mit entsprechend grosser Erleichterung kann ich nun berichten, dass das neue Akropolismuseum ein grosser Wurf ist, ein moderner, grosszügiger Bau, der seinem unschätzbaren Inhalt in jeder Weise gerecht wird. Die auf ein Mehrfaches vergrösserte Ausstellungsfläche erlaubte es, nie Gesehenes aus den vollen Depots ans Licht zu holen. So illustrieren gleich nach dem Eingang viele Kleinvotive die verschiedenen (seit kurzem auch selber wieder zugänglichen) Heiligtümer von den Abhängen der Akropolis: kleine Kultstätten, oft nur auf eine Grotte beschränkt, aber sehr populär und mit dem Alltagsleben der antiken Athener aufs innigste verbunden. Erstmals in der jetzigen Breite präsentiert werden aber auch die Funde aus mykenischer und geometrischer Zeit sowie die Weihgeschenke aller Art, auch die weniger spektakulären. Die altbekannten Highlights des Akropolismuseums wie die archaischen Statuen vermitteln immer noch den gleichen Eindruck einer grossen Überlieferungsfülle, haben aber in der lockeren Aufstellung mehr Luft und mehr Licht. Die Karyatiden, einst beim Ausgang hinter eine Glasscheibe gezwängt, sind gar erstmals rundum sichtbar. Vermisst habe ich im neuen, grosszügigen Saal der archaischen Bildwerke einzig die intime, direkte Quervergleiche ermöglichende Anordnung der Koren nebeneinander in einem Halbkreis. Die Erklärungen sind mit grossem Sachverstand verfasst, knapp gehalten und diskret gesetzt – für den Laien eventuell zu knapp und zu diskret, aber diese Zurückhaltung gibt den Kunstwerken den notwendigen Raum, für sich selber sprechen zu können.
Mit Worten gar nicht adäquat zu beschreiben ist der spektakuläre Parthenon-Saal ganz zuoberst. Der verglaste Quader hat die Dimensionen des Parthenons und dessen Orientierung, weswegen er zum restlichen Baukörper um rund 20 Grad gedreht ist. Der Ausstellungssaal legt sich um das Atrium herum und folgt von aussen der massstabsgetreu rekonstruierten Parthenonfassade auf der Höhe der Bauskulptur. Das liest sich alles wenig überraschend, ich weiss – aber sich Aug in Auge mit den Giebeln, Friesen und Metopen zu finden, ihre Dimensionen und ihre Details zu bestaunen und mit dem Blick durchs Fenster die Verbindung zum erstaunlich nahen Original herstellen zu können, ist ein atemberaubendes Erlebnis. Nebenbei wird an Hand der Abgüsse der anderswo, vor allem im British Museum aufbewahrten Bauglieder auch der Phantomschmerz über diesen Kunstraub viel deutlicher spürbar als zuvor. Für die alte Forderung nach Rückgabe der Elgin Marbles hat die griechische Regierung jetzt jedenfalls ein wichtiges Gegenargument (das des fehlenden Ausstellungsraumes) entkräftet und ein neues eigenes Argument aufgestellt.
In das vornehme und historisch befrachtete Makrygianni-Quartier südlich der Akropolis mit seinen repräsentativen Bauten, schicken Hotels und eleganten Mietshäusern ein Museum in diesen Dimensionen hineinzirkeln zu müssen, grenzt an architektonischen Selbstmord. Der in New York lebende Schweizer Bernard Tschumi hat die Gratwanderung zwischen Gigantismus und Selbstverleugnung mit viel Gespür für das gewachsene Umfeld gemeistert. Der massive, grossvolumige Bau versteckt sich nicht, wirkt aber, vor allem von der Akropolis aus gesehen, überraschend diskret und elegant, wenn er auch von Süden her seine Masse nicht verbergen kann. Einzig die pharaonische Eingangsüberdachung ist ein unnötiger Overkill, funktionslose Architektur um der Architektur willen. Die Säle sind grosszügig, selbst für die riesigen Besuchermassen des Eröffnungsjahres. Die Auxiliareinrichtungen sind dem Standard des Hauses angemessen: genügend Toiletten, zwei gutsortierte Shops, eine Cafeteria mit Terrasse und spektakulärer Aussicht. (Diese Aussicht wäre übrigens beinahe zum Vorwand geworden, zwei denkmalgeschützte Art-Déco-Mietshäuser an der Dionysiou-Areopagitou-Strasse abzureissen, da sie der optischen Kommunikation zwischen Museum und Akropolis im Wege stünden. Die Gefahr scheint gebannt; und nach dem Museumsbesuch scheint mir die Idee noch abwegiger, als sie es zuvor schon war...) Und das ist noch nicht alles: Der gewaltige Bau schwebt inmitten von Orangen- und Olivenbäumen auf Dutzenden Betonsäulen über dem historisch befrachteten Untergrund, einem ehemaligen Wohn- und Gewerbequartier, das vorgängig freigelegt wurde. Über gläserne Böden stellt das Museum eine Verbindung in viele Jahrhunderte der Geschichte seines Standorts her, die in Bälde noch besser zugänglich gemacht werden soll. Beschwingt hoch über den Mauerresten flanierend freue ich mich bereits auf den nächsten Besuch.
Technisches: Das Akropolis-Museum befindet sich an der Dionysiou Areopagitou 15 (Metro: Linie 2, Station Akropolis). Es ist täglich ausser Montags geöffnet von 8 bis 8 Uhr; ich empfehle allerdings den Besuch bei Tageslicht. Noch bis zum 31. Dezember 2009 gilt der Eröffnungspreis von 1 Euro. Die teils beträchtlichen Warteschlangen lassen sich durch den Online-Ticketschalter elegant und einfach vermeiden.
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