Freitag, 13. November 2009

Sturm und Drang und Überschwang

Ich bin ein grosser Fan der kleinen gelben Bücher: Ihr Design ist unerreicht, sie sind geradezu atemberaubend praktisch für überall hin, und sie kosten erst noch fast nichts. Zudem liebe ich Klassiker. Beim Bloggen nach dieser Art Lektüre gerate ich aber immer ein bisschen in Verlegenheit: Ich kann ja nicht ernsthaft Schillers Räuber rezensieren wollen; ein Werk, das seine Ehrenposition in der Kulturgeschichte schon lange hatte, bevor ich das erste Wort lesen konnte. (Was herauskommt, wenn sich jemand an solchen Besprechungen versucht, sieht man beispielsweise bei Amazon...) Das folgende erhebt also keinen Anspruch auf wissenschaftliche Analyse oder dergleichen – es ist einzig und allein (wie alles hier) der Versuch, meine Gedanken nach der Lektüre zu greifen zu bekommen und in eine, wenn auch sperrige, Form zu bringen.

Der bleibendste Eindruck: Wer immer den Begriff Sturm und Drang für diese Epoche geprägt hat, muss an dieses Drama gedacht haben. Da ist nichts Geruhsames, sich langsam Entwickelndes, nur unter der Oberfläche Brodelndes; vielmehr entladen sich Emotionen und Charaktere ungebremst und schonungslos, prallen aufeinander, schaukeln sich empor, treiben die Handlung in atemloser Schnelligkeit voran. Nicht selten fühlte ich mich beim Lesen überfordert, fast überholt vom Tempo der Handlung, dem vielfachen Meinungsumschwung und den jähen Richtungswechseln. Hinter dieser ins Kraut schiessenden Handlung steckt zwar durchaus eine absolut klassische Struktur in fünf Akten. Die Fabel gipfelt auch in einem tragischen Konflikt wie aus dem Lehrbuch. Ich werde aber den Eindruck nicht los, dass dies alles für Schiller gar nicht wichtig war. Er schert sich den Teufel um die Einheit des Ortes, und die Klimax schleicht sich auf leisen Sohlen fast unbemerkt an, um dann sehr schnell gleichsam zu verpuffen. Nein, es geht hier nicht um den sorgfältig aufgebauten tragischen Helden und um sein Verhalten im Angesicht der Krise. Es geht viel allgemeiner um den Charakter der Personen; es geht darum, diesem Charakter keine Fesseln anzulegen, sondern ihn sich ausleben zu lassen und ihn so offenzulegen. Wie mutig, wie unerhört das 1781 war, ein solches Stück nicht nur zu schreiben, sondern auch auf die Bühne zu bringen, schimmert in Schillers Vorrede durch, in der er sich vorsichtig distanziert, ja fast entschuldigt für seine Frechheit, diese zerrissenen, gescheiterten, teils rundweg kriminellen Figuren zu seinen Protagonisten gemacht zu haben.

Was dieses Werk unter anderem zum Klassiker macht – und ich denke, man kann das nicht genug betonen –, ist die absolute Beherrschung und Meisterschaft der Sprache. In den übelsten Anwürfen, in den grössten Seelenqualen, in den atemberaubendsten Dialogen stimmt jedes Wort. Der junge Schiller führt sein Deutsch wie Zweihänder und Florett zugleich, mit unerreichter Schönheit und Meisterschaft. Denn das ist es doch, was wir unter einem Klassiker verstehen: Ein zeitloses Modell, das uns Späteren als Orientierung und Richtschnur für unsere eigenen, zaghaften Versuche dienen kann.


Technisches: Friedrich Schiller, Die Räuber. Ein Schauspiel. Anmerkungen von Christian Grawe. Stuttgart, Reclam 1969/2001. ISBN 978-3-15-000015-1.

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