Donnerstag, 25. März 2010

Antike am Königsplatz

Neulich benutzte ich einen Nachmittag in München, um mir die beiden Tempel der klassischen Archäologie am Königsplatz, die Antikensammlung und die Glyptothek, anzusehen. Da sich mein kurzes Mittagessen mit zwei Kollegen im Franziskaner wegen der dortigen krankheitsverdünnten Personaldecke etwas über Gebühr erstreckte, blieben mir für die beiden Museen zusammen allerdings nur gerade zwei Stunden. Eine radikale Beschränkung auf das Wesentliche war angesagt – alles andere als einfach in diesen Häusern. Bayerns König Ludwig I., der die Vasen- und Skulpturensammlung seinerzeit begründet hatte, wollte sich eine kleine, aber wertvolle Kollektion zusammenstellen lassen: „An Zahl werden die grossen Museen das meinige übertreffen; in der Quantität kann sich nicht, an Qualität soll sich meine Sammlung auszeichnen.“ Dies merkt man den Nachfolgeinstitutionen immer noch an: Ihre Grösse ist überschaubar, die Dichte an Meisterwerken jedoch überdurchschnittlich hoch.

Mein besonderes Interesse galt den Kronjuwelen der Glyptothek, den Giebelskulpturen vom Aphaiatempel in Aegina. Vor ein paar Monaten war ich wieder einmal dort oben; durchaus passend also, jenen sonnig-windigen Besuch bei der Ruine mit der Reverenz an den Skulpturenschmuck im Münchner Regen zu ergänzen. Ich gestehe, dass ich in sprachloser Ergriffenheit vor diesen Kunstwerken stand. Die beiden Ensembles, die zu den besterhaltenen griechischen Giebelskulpturen zählen, dokumentieren eine Scharnierzeit der griechischen Kunst: das eine die letzte Stufe der archaischen Epoche, hinter deren Strenge wahrnehmbarer als zuvor das Leben pocht; das andere, um ein Weniges jüngere, das In-sich-Ruhende der frühesten Klassik mit ihrer gebändigten Bewegung und meisterhaften Komposition. Die Figuren sind überraschend klein und von überwältigender Schönheit; der Marmor glitzert, die Oberflächen sind makellos. Die Wiederbegegnung mit den Aegineten war einer der grossen Momente meiner Museumserfahrungen.

Es wäre noch von vielen anderen Höhepunkten zu berichten: von den Porträts, Grabreliefs und Jünglingsstatuen in der Glyptothek; vom atemberaubenden Netzglasbecher; von den frühen rotfigurigen Vasen der sogenannten Pioniere mit ihrem erfolgreichen Ringen um die Darstellung des Menschen und ihrer unbeschwerten Kollegialität und Rivalität. Erwähnt sei hier aber vor allem die Geschichte der Glyptothek. Ein Blick auf alte Fotos und in die entsprechenden Akten zeigt, wie im 19. Jahrhundert ein idealtypisches Antikenmuseum eingerichtet wurde. Die Säle, in ihrer Form teilweise antiken Innenräumen nachempfunden, waren farbig ausgemalt und reich dekoriert. Die Antiken wurden weniger nach historischen, als vielmehr nach dekorativen Gesichtspunkten auf die Räume verteilt und angeordnet. Klassische Bedeutung in der Rezeptionsgeschichte hat die Ergänzung der Aegineten durch Bertel Thorvaldsen, der letzte solche Versuch an einem wichtigen antiken Ensemble; aus heutiger Sicht natürlich kritisiert, aber gleichzeitig ein herausragendes Dokument des Klassizismus, jener Epoche, die antike und zeitgenössische Skulptur nicht als Gegensätze, sondern als Teile einer Gesamtkunst verstand. Die „Verschlimmbesserungen“ wurden längst wieder entfernt und der dokumentierte Ursprungszustand so gut wie möglich wiederhergestellt. Die reichen Säle der Glyptothek ihrerseits wurden durch die Bomben des Zweiten Weltkriegs zerstört. Der Wiederaufbau stellte die Bauvolumina wieder her, verzichtete aber auf jeglichen Dekor; nur leicht geschlämmte, nackte Ziegelmauern umgeben jetzt in gebührender Zurückhaltung die Statuen.


Technisches: Glyptothek und Antikensammlung am Münchner Königsplatz (ein paar Minuten zu Fuss oder eine Station weit mit der U2 vom Hauptbahnhof) sind dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet, donnerstags sogar bis 20 Uhr. Das Kombiticket für beide Häuser kostet sagenhafte 5,50 €! Bei schönem Wetter lockt ein Café im Hof der Glyptothek. Aus Zeit- und Wettergründen musste ich für Kaffee, Kuchen und Apéro eine Alternative ausserhalb der Museen suchen und habe sie in der sympathischen Brasserie Treznjewski wenige hundert Meter weiter nördlich gefunden.

Als Andenken an meinen Besuch habe ich in der Glyptothek den sehr schön gestalteten Katalog von Raimund Wünsche erstanden: Glyptothek München. Meisterwerke griechischer und römischer Skulptur. München, C. H. Beck 2005. ISBN 3-406-42288-8.

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