Freitag, 19. März 2010

Mit dem Bauforscher durch Griechenland

Mein Neujahrsvorsatz Nummer drei, mich von neuem und möglichst systematisch mit den Themen und Inhalten meines Studiums auseinanderzusetzen, erweist sich als exzellente Idee. Zwar ist es inzwischen über acht Jahre her, dass die Antike aus dem Hauptfokus meiner Aufmerksamkeit verschwunden ist, aber die Ruinen meines Wissens sind erfreulicherweise noch so gut erhalten, dass ich sie ohne grossen Aufwand festigen, auf und an ihnen auf- und anbauen kann. Grundlagenwerke sind dazu eine besonders geeignete Lektüre, denn sie leisten auf unaufdringliche Weise beides, die Festigung des Bestehenden und seine kluge Ergänzung.

(In einer Klammerbemerkung sei dazu der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft ein Kränzchen gewunden. Seitdem ich mich aus Platzgründen entschieden habe, nur noch die Bücher zu kaufen, die ich gleichentags noch zu lesen beginne, bin ich dort zwar nicht mehr Mitglied. Was die WBG jedoch an Grundlagenliteratur für alle möglichen Disziplinen, und insbesondere für die Altertumswissenschaften bereitstellt, ist grossartig. Sie bleibt unbeirrt jenem aussterbenden Phänomen verpflichtet, das man „Bildungsbürgertum“ nennt, und das ist so beeindruckend wie beruhigend.)

Und damit zu den Grundzügen der griechischen Architektur von Heiner Knell, einem der führenden antiken Bauforscher. Das Buch ist gleichsam eine Periegese durch das gesamte griechische Kulturgebiet, denn Knell geht durchwegs von der genauen Beobachtung der Denkmäler aus. Er führt uns zu den Hauptmonumenten der griechischen Antike, die er prägnant analysiert und aus deren Analyse er die wichtigen Entwicklungslinien und gemeinsamen Charakteristika ableitet. So fügt sich die Beschreibung der wichtigsten dorischen Ringhallentempel von den Anfängen bis in die klassische Zeit durch kluges Hervorheben kennzeichnender Eigenschaften quasi en passant zur Entwicklungsgeschichte dieses Bautypus zusammen. Solcherart an die Hand genommen kann der interessierte Laie selbständig nachvollziehen, wie sich die einzelnen Bauelemente nach und nach zu einem skulpturalen Ganzen zusammenfügten und zu einer immer perfekteren Einheit gelangten, aber auch wie in klassischer Zeit das Interesse an der Innenraumgestaltung aufkam und bald überhand nahm. Ähnliches lässt sich zur Entwicklung der schmückenden Elemente am ionischen Tempel, zu dessen verschiedenen Entwicklungslinien und ihren Glanzzeiten sagen. Und Heiner Knell bleibt bei den Einzelmonumenten nicht stehen, sondern stellt auch wichtige Heiligtümer und Stadtanlagen in einer Gesamtsicht vor, was es ihm ermöglicht, einzelne Bauwerke in ihren örtlichen und historischen Zusammenhang zu setzen. Dass man bei der Lektüre das Gefühl erhält, hier nicht ex cathedra belehrt, sondern zum eigenen Verständnis angeleitet zu werden, ist nicht das geringste Verdienst des Autors.

Etwas erstaunt hat mich der Platz, den er der religiösen Architektur einräumt: Fast drei Viertel des Buches sind den dorischen und ionischen Tempeln sowie den bedeutenden Heiligtümern gewidmet, währenddem der Städtebau sehr kurz abgehandelt wird. Ich bin mir der überragenden Bedeutung der Kultbauten für die griechische Baukunst sehr wohl bewusst, ebenfalls ihres relativ guten Erhaltungszustandes sowie des Interesses, welches die Archäologie ihnen klassischerweise entgegenbringt. Zudem bemerkt Knell in der Einleitung zur Behandlung von Wohnhaus und Stadtanlage, dass sich die Forschung für diese Themen erst seit relativ kurzer Zeit vertiefter interessiert – wäre sein Buch 2010 erschienen, hätten diese Kapitel an Länge wohl gewonnen. Dennoch bedaure ich etwas, das beispielsweise Typologie und Beispiele öffentlicher Bauten kaum zur Sprache kommen; und auch Kultbauten wie die Theater werden im Vergleich zu ihrer Bedeutung etwas stiefmütterlich behandelt.

Im Lichte der Einleitung des Buches lese ich diese Gewichtung als eine Grundaussage des Autors zur griechischen Architektur. Ohnehin gilt: Es ist immer möglich, sich ein solches Werk noch ausführlicher vorzustellen. Das gilt für die Auswahl und Gewichtung des Inhalts ebenso wie für die zurückhaltende Bebilderung, die hauptsächlich mit Bauplänen arbeitet. Entscheidend ist, dass Knell auf dreihundert leicht zu lesenden Seiten einen klaren Gesamtüberblick über mehrere Jahrhunderte einer Kunstform gibt, die technisch und ästhetisch weiterhin gültige Massstäbe gesetzt hat.


Technisches: Heiner Knell, Grundzüge der griechischen Architektur. (Grundzüge Band 38.) Darmstadt, WBG 1980. ISBN 3-534-08018-1. Das Buch ist zurzeit nur antiquarisch erhältlich.

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