Ein Blick in die Kategorie Literatur dieses Blogs legt schonungslos offen, dass ich in letzter Zeit kaum Belletristik, sondern hauptsächlich Sachliteratur lese. Zum Glück hat meine Freundin L. kürzlich ihre Wohnung umgeräumt und beschlossen, einige ihrer verstaubenden Bücher etwas in Zirkulation zu geben. Als wir uns letzthin zu einem Glas Wein trafen, tauchte sie deshalb mit einem Stapel Krimis auf, die seither in meinem Bücherregal der Lektüre harren. Und so habe ich auf einer längeren Bahnreise für einmal nicht bloss die aufgelaufenen Zeitungen, sondern tatsächlich einfach ein Buch gelesen: Saltimbocca von Bernhard Jaumann, einen – ich sag’ mal – kulinarisch-kunsthistorischen Krimi; und erst noch mit Tiramisù-artig zweistufigem Aufbau. Jaumann erzählt die Geschichte eines mittelmässigen Krimiautors, der vor Ort in Rom für sein jüngstes Werk recherchiert, und gleichzeitig lesen wir dieses in Entstehung begriffene jüngste Werk um den gescheiterten Privatermittler Brunetti (der heisst tatsächlich so, und der Seitenhieb auf Donna Leon lässt auch nicht auf sich warten). Dass der fiktive Krimiautor und Ich-Erzähler ziemlich ostentativ die Züge des realen Krimiautors Bernhard Jaumann trägt, macht das Buch zunächst etwas gewollt originell – Ironie mit dem Vorschlaghammer, gewissermassen. Aber die parallelen Handlungen, der Brunetti-Krimi und die Rahmengeschichte, ziehen einen bald in ihren Bann. Zunächst erscheinen sie nur harmlos, dann immer virtuoser (und gelegentlich auf abenteuerliche und surreale Weise) miteinander verwoben; die gegenseitigen Bezüge werden raffinierter und komplexer, und ihre Parallelität stellt sich zusehends als unheimlich heraus: Jaumanns Alter Ego wird von seiner raffinierten Geschichte eingeholt, ehe er sichs versieht, und judiziert gleich Kleists Dorfrichter Adam „den Hals ins Eisen sich“.
Da die Brunetti-Geschichte als Entwurf eines durchschnittlich erfolgreichen Autors ausgegeben wird, kann sich Jaumann darin einiges an Fantasie erlauben: Man spürt förmlich, wie er es geniesst, einen abstrusen Plot an den Haaren herbeizuziehen und ihn grosszügig mit geografischen, kulinarischen und kunsthistorischen Bezügen aufzuladen. Augenzwinkernd lässt er ihn in der parallelen Klimax der beiden Geschichten vom Polizisten der Rahmenhandlung auflösen und diesen dabei (als kleine Solidarität des Autors mit seinem arg gebeutelten Doppelgänger) peinlich scheitern. Bei aller Absonderlichkeit funktioniert die Geschichte jedoch aufs Trefflichste; dass sie zudem intensivst die Nostalgie nach Rom und seiner Küche nährt, ist ein hübscher Nebeneffekt. So war das Buch noch in den Ferien fertig gelesen, und ich musste mir auf der Heimreise notfallmässig die Zeit mit Sudokus vertreiben...
Technisches: Bernhard Jaumann, Saltimbocca. Kriminalroman. Berlin, Aufbau Taschenbuch Verlag 42004. ISBN 3-7466-1509-7.
[UPDATE: Links zur Verlags-Website und zum Projekt Gutenberg angepasst.]
...und ich als passionierter Vielfrass hab mich bei diesem Titel schon gefreut, es gäbe Kulinarisches zu berichten! Er erinnert mich immerhin daran, dass meine Saltimbocca-Testreihe immer noch der Auswertung im Blog harrt. (Welches in Rohschinken gewickeltes Stück vom Schwein (Jugendlager, günstig) erträgt sanftes Anbraten gefolgt von einstündigem Schmor-Warmhalten bei 80 °C mit Folie zugedeckt und in Demi-Glace ertränkt? Testkandidaten waren Hals, Hohrücken und Nierstück.)
AntwortenLöschen@michael: Ach, ich denke, zum Food-Blog wird das hier nie - einerseits will ich mich nicht zu sehr verzetteln, anderseits könnte ich da nie im Leben mithalten. Was ich Kulinarisches zu sagen habe, bringe ich in den Kommentaren deines Blogs unter. Die Saltimbocca-Testreihe würde mich übrigens intensivst interessieren!
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