Samstag, 19. Februar 2011

Hereafter

So müsste man alt werden können: wie Clint Eastwood. Alles gemacht, alles erreicht, nichts mehr zu beweisen, aber noch gut im Saft und mit Zeit und Musse, das zu tun, was man einfach noch so tun will. Filme machen zum Beispiel, die eine oder andere Geschichte erzählen, gute Geschichten mit interessanten Figuren. Das tut der Mann jetzt seit zehn Jahren mit Meisterschaft. Und aus jedem seiner Filme sprechen die Freude an seinen Geschichten und die Zuneigung zu seinen Figuren.

Sein aktuelles Werk trägt das Thema im Titel: Hereafter: Es geht um das Jenseits – oder präziser, um den Tod. Eastwood folgt den Geschichten von drei Menschen, die mit dem Tod konfrontiert und darob aus der Bahn geworfen wurden. Die französische Star-Journalistin Marie Lelay (eine unglaublich präsente Cécile de France) wird auf einem indonesischen Markt in einer atemberaubenden Sequenz von der Welle des Tsunami erfasst und verweilt für einen kurzen Moment im Zwischenbereich zwischen Leben und Tod, bevor sie wieder zu sich kommt. Äusserlich erholt sie sich schnell, kehrt (ganz Powerfrau) dynamisch in die Redaktion zurück – aber in Wirklichkeit ist zu viel in ihr erschüttert, und sie merkt, dass sie keinen Frieden finden wird, bevor sie ihrem Nahtoderlebnis nicht auf den Grund gegangen ist. Gleichzeitig sieht sie sich dadurch erbarmungslos in die esoterische Ecke gestellt. In London verliert der zwölfjährige Marcus in einem Unfall seinen Zwillingsbruder Jason und damit gleichsam die Hälfte von sich selber, denn es war immer der elf Minuten ältere Jason, der dem Jüngeren Beschützer und Anführer war im ärmlichen Leben in der baufälligen Sozialsiedlung mit der drogenabhängigen Mutter. Die Mutter muss in die Therapie, der Sohn in eine Pflegefamilie; aber nichts kann ihn aus seinem Dämmerzustand der Trauer herausholen. George Lonnegan (Matt Damon, etwas verhalten) aus San Francisco schliesslich hat die unerklärliche Gabe, mit Verstorbenen kommunizieren zu können. Damit ist viel Geld zu machen, was sein geschäftssüchtiger Bruder auch beherzt an die Hand nimmt. Aber George wird die Gabe derart zur Belastung und zum Fluch, dass er lieber als Lagerist im Hafen malocht und sich ansonsten immer mehr von der Welt und den Menschen abkapselt.

Der Film wechselt ohne Hektik zwischen den drei Leben hin und her, verfolgt sie mit meisterhafter Kameraführung, zeichnet sie mit klug komponierten Farben und präzisen Bildern. Und gegen den Schluss lässt er sie mühelos, wie beiläufig, miteinander in Kontakt geraten und lässt die drei Verlorenen sich gegenseitig aus ihrem Verlorensein heraushelfen. Dass er mich dennoch nicht restlos begeistert hat, liegt an zwei Dingen, denke ich. Erstens hat, wer in eineinhalb Stunden drei Geschichten erzählen will, für jede einzelne nur sehr wenig Zeit. So wirken die Charaktere, obwohl sie mit knappen Strichen sehr präzise gezeichnet sind, in den paar Minuten, in denen wir sie jeweils sehen, etwas eindimensional. Dazu kommt zweitens, dass sich die Geschichten gelegentlich in Nebensträngen verlieren, die nicht viel zum Ganzen beitragen – beispielsweise Melanie, Georges Kochkurs-Bekanntschaft: Sie wird in einer schönen, langen Sequenz eingeführt, überredet ihn dann beim Rendez-vous zu einer Totenkontaktaufnahme und ergreift vom Gehörten geschockt die Flucht. Gewiss verdeutlicht sie damit erneut und übergross den Fluch von Georges besonderer Gabe, bleibt aber im dramaturgischen Gefüge ein etwas verlorener Fremdkörper.

So ist Hereafter vor allem ein besinnlicher Film; einer, der ruhig und offen Fragen stellt und beiläufig Anregungen gibt. Uns hat er ganz von selbst in eine lange, intensive und persönliche Diskussion geführt; und das ist vielleicht das Beste, was ein Kunstwerk überhaupt bewirken kann.


Technisches: Hereafter läuft immer noch in vielen Kinos in der ganzen Schweiz. Vorsicht: Es kommen im Film Phänomene vor, die sich rational nur schwer erklären lassen. Eingefleischte Atheisten schauen sich vielleicht lieber etwas anderes an…

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