Montag, 7. März 2011

Geschacher um Sarpedon

Im Mittelpunkt dieses Beitrags hätte der Krater des Euphronios mit Eros und Thanatos stehen sollen, die den toten Sarpedon aus der Schlacht tragen: vielleicht die schönste bekannte griechische Vase, ein Meisterwerk der Kunstgeschichte – und zentrales Objekt eines Kunsthandelsthrillers, packender als jede Fiktion. Wer sich mal ein Stündchen gut unterhalten will, dem sei die mitreissende Aufzeichnung dieser Verwicklungen durch Thomas Hoving herzlichst empfohlen, dem damaligen Direktor des Metropolitan Museum of Art. Ihm wurde nämlich dieses Meisterstück im Herbst 1971 vom bereits damals skandalumwitterten Antikenhändler Robert Hecht angeboten. Hecht machte vage Andeutungen zur herausragenden Bedeutung und zum exorbitanten Preis einer bislang unbekannten Vase vorerst unklarer Provenienz und lud zur Besichtigung in Zürich ein (of all places). Kann man „Grabraubgut“ noch deutlicher schreiben? Hoving, der sich damals stark für einen Ehrenkodex der Antikenmuseen zum Umgang mit Antiquitäten zweifelhafter Herkunft engagierte, war natürlich auf der Hut. Er beschreibt aber auch offen, wie absolut rettungslos ihn der Krater faszinierte, als er ihn zum ersten Mal zu Gesicht bekam – und wie erleichtert, als Hecht Nachweise für die Provenienz des Kunstwerks aus altem Privatbesitz lieferte, die sich zuerst zwar etwas unglaubwürdig anhörten, sich aber nach und nach unter dem prüfenden Blick der italienischen Justiz und der Presse erhärteten. Hoving handelte den Kaufpreis auf eine Million Dollars herunter, zahlte, und der Krater kam nach New York.

Dabei hätte es bleiben können, wenn Hecht wirklich ein anständiger Händler gewesen wäre. War er aber nicht: In jenem Herbst 1971 gingen nämlich nicht ein, sondern unglaublicherweise gleich zwei Kratere von Euphronios durch seine Hände, beide in Scherben: einer aus libanesischem Privatbesitz, der andere aus der illegalen Ausgrabung eines etruskischen Grabes bei Cerveteri. Sein Geniestreich war es, letzteren mit der Provenienzdokumentation des ersteren zu adeln und ihn so vermeintlich gefahrlos auch einem kritischen Kunden, nämlich einem renommierten Museum, zu verkaufen. Und da nun Italien seit einigen Jahren eine intensive Kulturaussenpolitik betreibt, um den Antiquitätenschmuggel zu beleuchten, zu denunzieren, und um Kunstwerke zu repatriieren, die ganz offensichtlich unrechtmässig das Land verlassen haben, wurde alsbald der zweite Akt des Thrillers geschrieben, der (für mich reichlich überraschend, siehe z.B. die Parthenonskulpturen) damit endete, dass der Euphronios-Krater an den italienischen Staat zurückgegeben wurde. Mit Pomp und Prominenz wurde das gute Stück willkommen geheissen und fand seinen ihm zustehenden Platz im Museo nazionale etrusco in der Villa Giulia in Rom.

Damit rückte dieses Meisterwerk für mich sozusagen in Griffweite und ein Besuch der Villa Giulia ins Pflichtprogramm für die nächste Romreise. Im Oktober des letzten Jahres war es endlich so weit. Doch dann: Als wir zur Kasse der Villa Giulia kamen, begrüsste uns ein Plakat mit der Information, dass der Krater des Euphronios zurzeit nach Venedig ausgeliehen sei, an die Ausstellung I Carabinieri per l’arte. Tessere di un patrimonio recuperato… Ich hätte das gesamte Personal samt Putzfrau würgen können, aber die gute Erziehung machte sich glücklicherweise noch rechtzeitig bemerkbar, und wir lösten artig zwei Eintritte. Tatsächlich lohnte sich der Besuch auch ohne Euphronios, mindestens im kürzlich neugestalteten ersten Teil. Das Ordnungsprinzip ist dort der Fundzusammenhang der Objekte, sind die einzelnen etruskischen Siedlungen und Nekropolen. Dennoch gelingt den Gestaltern eine klare, verständliche Darstellung der Epochen und Stile, und ich muss gestehen, dass wir etliche Meisterwerke entdecken konnten. Deutlich mühsamer und anstrengender war dann die zweite, noch nicht aktualisierte Partie der Villa Giulia, wo in nicht enden wollenden Räumen randvolle Vitrinen im Sechziger-Jahre-Design dumpf aufeinander folgten. Und in sträflicher Nonchalance haben es die Verantwortlichen fertig gebracht, das Highlight des Hauses (jedenfalls für mich) sehr effizient zu verstecken: In einem kleinen, düsteren Nebenraum standen drei Vitrinen wie zwischengelagert eng aufeinander, von wenigen Spots halbbatzig beleuchtet – und erst im letzten Moment, schon beim Herausgehen, entdeckte ich in der einen von ihnen die Olpe Chigi, Meisterwerk der korinthischen Vasenmalerei und seinerzeit Stammgast in meinen archäologischen Vorlesungen.

Bei solchen und ähnlichen Erlebnissen bin ich durchaus versucht, mich zu fragen, ob es wirklich Sinn macht, einem Staat Kunstwerke zurückzugeben, der mit seinen eigenen Schätzen so lieblos umgeht. Aber als Schweizer hält man bei dieser Thematik wohl besser den Mund. Nichts hätte dies treffender illustrieren können als der grosse Saal neben der erwähnten Abstellkammer. Dort wird anscheinend ein neuer Ausstellungsteil zum Thema Kunstraub und Kunsthandel aufgebaut, und bereits sind da einige in den letzten Jahren wiedergefundene Objekte höchster Qualität versammelt. Eine besonders unrühmliche Rolle spielt dabei das Zollfreilager Genf – was mich unweigerlich wieder einmal zu der Frage führt, weshalb die offizielle Schweiz während Jahrzehnten nicht nur nichts gegen den internationalen Kunstraub unternahm, sondern ihn durch spezielle Gesetze sogar noch aktiv beförderte. Da ist viel Unheil angerichtet worden, und Patentrezepte gibt es keine. Eines immerhin zeigen das Schicksal des Euphronios-Kraters, aber auch die aktuellen Prozesse gegen der erwähnten Robert Hecht oder die Getty-Kuratorin Marion True: Das Bewusstsein für das Unrecht steigt.


Technisches: Das Museo nazionale etrusco befindet sich in der Villa Giulia, der ehemaligen Sommerfrische von Papst Julius III. am Nordrand der Villa Borghese. Von der Piazza del Popolo (Metro A, Flaminio) ist das ein angenehmer Spaziergang; man kommt aber auch mit Bus 19 oder Tram (Bus) 3 bis fast vor die Tür. Nur erkundige ich mich nächstes Mal vielleicht vorher, ob das Objekt meiner Begierde im Haus ist…

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